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Griechenland: Vorzeigeinsel oder Vetternwirtschaft

Der Hirte und seine Ziegen – mehr Klischee geht in Griechenland nicht. Und doch ist auf Tilos etwas anders. Die Ziegen gehören einer Genossenschaft – noch unrentabel, aber mit Visionen. Dafür ziehen sogar Albaner wie Spyros nach Tilos.

Auf Tilos übernehmen alle die Verantwortung

Griechenland: Die Bürgermeisterin führt die Insel Tilos aus der Krise
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"Die Bürgermeisterin hat mich geholt, ich bin dankbar, dass dieses Ziegen-Projekt begonnen hat. Als Mitglied der Genossenschaft fühle ich mich, als ob es meine eigene Firma wäre", erzählt Spyros Kaso, Hirte. Genau das ist das Ziel. Alle übernehmen Verantwortung – nur so glauben sie, wird das Leben auf Tilos lebenswert. Auch Maria Kama, die Bürgermeisterin. Sie packt da an, wo Hilfe gebraucht wird.

Neuestes Projekt: eine Käserei. Die Schweizer Gemeinde Menier hat die Anlage spendiert, betrieben wird sie von Ehrenamtlichen. Die Nachfrage ist riesig, der Output noch klein. Die Idee entstand, als das Flüchtlingshilfswerk der UNO fragte, ob Flüchtlinge nach Tilos kommen könnten. Gerne, unter der Bedingung, dass die Menschen arbeiten können, so die Bürgermeisterin.

Jetzt im Sommer wird das Programm wieder aufgelegt, mit dem Flüchtlinge nach Tilos kommen. Wir hoffen, dass einige von ihnen sich für die Arbeit in der Käserei interessieren", so Maria Kama, Bürgermeisterin von Tilos.

Tilos, die kleine Insel in der südlichen Ägäis war einst die am höchsten verschuldete Gemeinde. Wer konnte, ging weg. Die Wende gelang, als sie vor zwanzig Jahren ein großes Schiff kauften. Sie hatten zwar Schulden, aber endlich Zugang zum Rest des Landes. Bis dahin war die Insel abgeschnitten vom Rest der Welt. Als Maria Kama vor sieben Jahren das Zepter auf Tilos übernahm, führte sie eigentlich nur weiter, was ihre Vorgänger begonnen hatten.

"Die Insel hat sich nicht verschuldet, um Konferenzzentren oder ein großes Rathaus zu bauen und Feste zu organisieren, sondern um Projekte für die Insel zu verwirklichen. Die Zahlen beweisen: Es gibt Wachstum. In den 90ern lebten hier 279 Menschen und es gab keine zehn Geschäfte. Bei der letzten Volkszählung lebten 829 Menschen hier, und es gibt mehr als 100 Unternehmen", berichtet Maria Kama.

Zahlreiche Touristen kommen jetzt auch nach Tilos, werden sogar ansässig. Nicht alles funktioniert perfekt, sagen sie. Aber glücklich macht sie der gemeinsame Wunsch, etwas zu bewegen.

In Fyli ist gar nichts in Ordnung

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Ganz anders: Eine Kleinstadt unweit von Athen. In Fyli ist gar nichts in Ordnung. Die Stadt zählt 46.000 Einwohner, besitzt einen eigenen TV Sender mit 140 Angestellten. Und eine Mülldeponie, die jedes Jahr allein 38 Millionen Euro an Ausgleichszahlungen bringt. Die Gemeinde ist sehr hoch verschuldet. Bürgermeister Christos Pappous beklagt, dafür seien andere verantwortlich. "Von den Fördergeldern, die wir vom Staat bekommen, werden fünf Prozent als Schuldentilgung einbehalten. Das heißt: 250 Tausend Euro pro Jahr. Dauer der Rückzahlung: 2149 Jahre", so Christos Pappous, Bürgermeister Fyli.

Vor drei Jahrzehnten sollte die Mülldeponie der Schlüssel zum Glück sein. Eine Lizenz zum Geld drucken, aber mittlerweile macht sie krank, die Stadt ist heruntergekommen, die Kriminalität hoch. Theoretisch müsste Fyli die reichste Gemeinde überhaupt sein – meint der Rentner Thomas Bisas, stattdessen glaubt er, haben sich einige wenige bereichert, der Rest des Geldes wurde für unwichtige Projekte zum Fenster hinaus geworfen.

"Es hat eine "Korruptions-Party" gegeben. Es wurden Tausende in der Gemeinde eingestellt, Fyli hatte 4.000 Angestellte, man hat Fußballplätze für lokale Clubs gebaut, die Mannschaften stiegen auf in die erste Liga, es ging um eine wilde Millionen Party. Das ganze Geld floß in solche Aktionen, ihren Verpflichtungen, Sozialbeiträge zu zahlen und Steuern, sind sie nicht nachgekommen", sagt Thomas Bisas, Rentner.

Auf Tilos leben überzeugte Europäer

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Von der ersten Liga profitieren nur einige Wenige, längst nicht alle Einwohner von Fyli. Auch dieser Platz, so Bisas, mit dem lasse sich repräsentieren. Gebraucht werde er nicht zwangsläufig. An das Gemeinwohl – Schulen, Krankenhäuser oder die Lösung der Umweltprobleme – werde im Rathaus nicht gedacht. In Fyli denke jeder nur an sich und den eigenen Vorteil, glaubt er. "Die Antwort auf die Frage, wieso das in der Gemeinde Fyli passiert ist, ist, dass hier die Korruption weit verbreitet ist. Das ist meine Meinung. Ich kann das natürlich hier und jetzt nicht beweisen, aber das ist die Wahrheit", so Thomas Bisas. Der Rentner ist verzweifelt, sein Leben hat er hier verbracht. Er ist traurig, wütend und fragt sich oft: "Wie konnte es in Fyli bloß soweit kommen?".

Zurück nach Tilos – hier will man sogar noch weiter kommen, unter anderem mit erneuerbaren Energien. Ein großes EU Projekt siedelte sich auf der Insel an, die Gemeinde darüber hocherfreut. "Die Vorteile: abgesehen vom sauberen Strom haben wir die Versorgung stabilisiert, es gibt keine Stromausfälle mehr, die früher zu Problemen und Schäden geführt haben", so Maria Kama.

Auf Tilos leben überzeugte Europäer – die EU hat ihnen auch geholfen, eine Altenpflege auf der Insel aufzubauen. Heute finanziert die Gemeinde Pflegerinnen wie Irini.

Autorin: Ellen Trapp / ARD Studio Rom

Stand: 08.07.2019 14:45 Uhr

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