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Frankreich: Vom Sturm vertrieben

Frankreich: Vom Sturm vertrieben | Bild: WDR

Wenige Kilometer vor unserem Zielort wird die Strecke immer unsicherer. Ein Provisorium. Wir fahren im Konvoi, vorbei an verschütteten Pisten. Mitten in den französischen Alpen. Zerstörte Häuser, abgerissene Brücken, noch immer ein Bild der Verwüstung. Drei Monate nach dem verheerenden Unwetter 'Alex'. Nur über diese Piste können Autos derzeit passieren. Es ist die einzige Verbindung in den Ort. In Tende warten die Menschen schon auf die Lieferungen von Material und Lebensmitteln: Jean-Pierre Vassalo ist der Bürgermeister, er kümmert sich hier um alles.

Frankreich: Der Bürgermeister von Tende hilft, wo er kann
Frankreich: Der Bürgermeister von Tende hilft, wo er kann | Bild: WDR

"Jean-Pierre, geht’s voran?", fragt Maria Lorilleux und der Bürgermeister entgegnet: "Ja! Dank Leuten wie Euch!" Die Metzgerei von Familie Lorilleux bekommt fast täglich Ware aus der nächsten Stadt geliefert und versorgt so das ganze Dorf. Maria Lorilleux erzählt: "Gut, dass es jetzt wenigstens diese provisorische Piste gibt, das ist wirklich eine gute Sache! Das ist unser Sturm-Baby." Jean-Pierre schaut tatsächlich überall nach dem Rechten:"Ein ruhiges Sturmbaby!"

Das Unwetter hat Tende schwer erwischt

Mia ist 5 Tage nach dem Unwetter in Tende geboren. Mutter und Kind sind nach der Geburt erstmal in den Nachbarort gezogen, sicherheitshalber. Jean-Pierre muss weiter. Seit dem Sturm ist er von morgens bis abends unterwegs. Sein Dorf ist noch immer im Krisenmodus, erzählt er. Tende ist besonders schlimm betroffen von der Unwetterkatastrophe.

2.Oktober 2020. Unaufhaltsam wälzen sich Schlammlawinen durch den Ort. Sie reißen alles mit sich: Häuser, Bäume, Brücken, Menschen. "Es war ein Tag wie jeder andere. Wir waren morgens rausgegangen auf die Weide mit der Herde und wollten langsam nach Hause", erzählt Armand Giordano, der Schäfer im Ort. Die Schafe sollten zurück in den Stall. Armand  trieb die Herde zusammen – gemeinsam mit seinem Bruder. Sie machten sich auf den Weg. Dann dies: "Wir hatten gerade eine Brücke überquert. Ich ging vor der Herde, mein Bruder war hinten, als das Wasser kam. Es riss ihn vor meinen Augen fort.  Ich habe ihn nie wiedergesehen."

Armand kämpft mit seinen Gefühlen. Er hat an diesem Tag  seinen Bruder, die Hälfte seiner Schafe und damit praktisch seine  Existenz verloren. Tende war vor der Unwetterkatastrophe ein wohlhabender Ski-Ort mit über 2.000 Einwohnern. Jetzt kommt kein Tourist mehr. Die schönen Fassaden täuschen , die Idylle hält nur auf den ersten Blick: Mindestens ein Mensch gilt als vermisst, Dutzende haben ihre Lebensgrundlage verloren. 68 Häuser mussten geräumt werden, 12 wurden komplett zerstört. Im Augenblick ist Stillstand in Tende. Wegen des Wintereinbruchs. Der Bürgermeister ist ungeduldig, er will, dass es voran geht: "Wir haben noch viele offene Wunden, wir versuchen den Alltag irgendwie zu bewältigen. Dahinten wo die Tannen stehen, war ein großer Kinderspielplatz, Häuser. Alles ist zerstört und die Leute, die da gewohnt haben, wurden evakuiert", sagt Jean-Pierre Vassalo.

Viele können nicht mehr in ihren Häusern wohnen

Frankreich: Dreimal am Tag ist der Ort nur über eine Straße zugänglich
Frankreich: Dreimal am Tag ist der Ort nur über eine Straße zugänglich | Bild: WDR

Zwei Tage war Tende komplett von der Außenwelt abgeschnitten – nur per Hubschrauber erreichbar. Die Wassermassen hatten alle Zufahrtswege blockiert. Die Menschen saßen in der Falle. Roselyn hat das alles noch sehr präsent. Ihr Haus ist unbewohnbar seit dem Unwetter. Außen und innen hat das Wasser große Schäden angerichtet. Jean-Pierre versucht, ihr Mut zu machen. Roselyn gehen die Ereignisse immer noch sehr nah: "Ich hatte Angst. Es war schrecklich. Das Wasser war überall. Ich suchte meinen Mann, ich kam hier hoch und war so erleichtert: Er lebte! Er stand da und es war ihm nichts passiert!"

Gérard hat Glück gehabt. Roselyn zeigt dem Bürgermeister unterdessen die Verwüstungen im Inneren. "Hier steht der Schlamm noch vor dem Fenster und hier war auch alles voll, sehen Sie?", erzählt sie. Das Haus ist total ausgekühlt, Schimmel überall. Rosleyn lebt jetzt in einer Notunterkunft. Bis heute hat sie keinen Cent von ihrer Versicherung bekommen. Die verlangt zunächst ein staatliches Gutachten, bevor sie zahlt. "Wir müssen warten, bevor der Schaden reguliert wird, bis sich die staatlichen Experten geäußert haben", sagt der Bürgermeister.

Unterstützung durch Spenden

Darauf warten sie nun seit drei Monaten. Anderes geht dafür schneller: Jean-Pierre hat eine Nachricht bekommen – Eigentlich verkehren derzeit keine Züge, aber am Bahnhof ist per Draisine etwas für ihn angekommen: eine Hilfs-Lieferung aus Italien! "Oh Madonna!", freut er sich. Es ist ein Quad , ein Vierrad und zwar geländegängig. Jean-Pierre hat alles im Griff: "Das ist eine Spende des Erzbischofs von Monaco! Nein, nein, nicht für mich – für das Dorf. Damit können wir viel einfacher als mit den Autos im Frühjahr hoch in die Berge fahren und nach dem Rechten sehen, mit diesem Quad."

Jean-Pierre ist zufrieden. Er hat noch jede Menge zu tun. Und bis zum Frühjahr hoffen sie in Tende, aus dem Schlimmsten raus zu sein.

Autorin: Sabine Rau / ARD Studio Paris

Stand: 31.01.2021 20:29 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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