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Frankreich: Tag der Entscheidung

Frankreich: Tag der Entscheidung  | Bild: Pool/ABACAPRESS/ddp images / Ludovic MARIN

Wettkampfstimmung – auf dem Bouleplatz in Florange in Lothringen. Joseph Latasse kommt zweimal in der Woche zum Spielen. Normalerweise wird auf dem Platz nicht über Politik geredet. Aber kurz vor der Präsidentschaftswahl ist das anders. "Ich habe mich schon entschieden. Ich wähle Marine Le Pen, sie hat es verdient", sagt Joseph. Bei den meisten hier ist das ähnlich. Sie wollen Marine Le Pen wählen – und auf keinen Fall Emmanuel Macron. "Macron wird sich nur an die Reichen richten. Die Ärmeren und die Mitte werden vergessen", meint Gaby Hippert und Didier Furena sagt: "Ich habe immer die Sozialisten gewählt, aber die gibt es ja quasi nicht mehr. Ich habe in der ersten Runde Le Pen gewählt, damit sich etwas ändert."

Eine Stadt für Le Pen

Das Boulodrome ist einer der wenigen Treffpunkte in Florange. Einst war die 12.000 Einwohner Stadt Herz der französischen Stahlindustrie. Dann machten viele Werke dicht, Arbeitsplätze verschwanden. Das hat das Vertrauen in die Politik stark erschüttert. Früher wählte man in Florange links, jetzt Marine Le Pen. Joseph hatte sich vom einfachen Arbeiter zum Werksleiter hochgearbeitet. Von seiner Rente bleibe immer weniger übrig, sagt er. Daher hat ihn überzeugt, dass Le Pen so auf das Thema Kaufkraft gesetzt hat. Auch ihre harte Haltung gegenüber Migranten findet er gut – obwohl er als Kind selbst aus Italien nach Frankreich kam. "Wenn die Leute arbeiten und sich anpassen, ist das ok. Aber dass manche hier einfach nur von der Infrastruktur, von allem, profitieren, da bin ich dagegen", sagt Joseph.

Pètanque Spieler Joseph Latassa in Florange sagt, Macron sei zu jung Präsident geworden. Er wolle Le Pen wählen.
Pètanque Spieler Joseph Latassa in Florange sagt, Macron sei zu jung Präsident geworden. Er wolle Le Pen wählen. | Bild: WDR

Inzwischen ist in Florange die Arbeitslosigkeit gesunken, auch dank Macrons Wirtschaftspolitik. Die Stadt ist nicht mehr im Niedergang. Hier werden Stahlteile für die Autoindustrie produziert – und viele finden einen Job im benachbarten Luxemburg. Auf dem Bouleplatz sind sich Joseph und seine Freunde trotz alledem bei einer Sache einig: Sie sind vor allem gegen Emmanuel Macron. Sie haben nicht das Gefühl, dass er Politik für einfachere Leute wie sie mache: "Macron ist zu jung Präsident geworden. Ich mag nicht, wie er das Volk geringschätzt – und wie autoritär er das Land regiert."

Joseph geht gerne tanzen, mit seiner Partnerin – in ein klassisches Tanzlokal. Das erinnert ihn ein bisschen an früher. Aus der ganzen Region kommen Leute hierher, auch aus Luxemburg. Josephs Heimat profitiert von den offenen Grenzen. Dennoch trifft Le Pen mit ihrem europakritischen Kurs einen Nerv. Auch dass sie wieder Grenzkontrollen einführen will, sorgt Joseph nicht: "Es geht ihr ja vor allem darum, dass kontrolliert werden soll, ob Migranten illegal nach Frankreich kommen. Das hat sie vor."

Zwei Orte, zwei Meinungen

In der Touristenstadt Thionville sind die Einwohner mehrheitlich für Macron
In der Touristenstadt Thionville sind die Einwohner mehrheitlich für Macron | Bild: WDR

Anders denken viele Menschen im Nachbarort Thionville, fünf Kilometer entfernt. Im lebendigen 40.000 Einwohner-Städtchen finden viele Emmanuel Macron gut. Yolande ist eine davon. Seit 2017 engagiert sie sich für die Partei von Emmanuel Macron. Gerade macht die ehemalige Sozialarbeiterin Wahlkampf. Probleme, ihre Flyer loszuwerden, hat sie nicht. "Die Kaufkraft ist recht hoch. Es gibt viel Arbeit, und wenig Arbeitslosigkeit in der Stadt. Ich glaube, dass führt dazu, dass Emmanuel Macron bei diesen Wahlen vorne liegen wird", erzählt Yolande.

Thionville hat unter dem Niedergang der Stahlindustrie nicht ganz so gelitten. Viele hier arbeiten im Dienstleistungsbereich. Gerade bei höheren Angestellten punktet Macron. Yolande findet, dass er das Land vorangebracht hat: "Seine Bilanz der letzten fünf Jahre ist gut. Und er setzt auf Europa, und dass Frankreich hier eine große Rolle spielt. Das ist wichtig.“ Im Restaurant 'Les sommeliers' wird ihr Werbematerial gerne genommen. Ohne Macrons Corona-Hilfen hätte die Besitzerin ihren Laden schließen müssen, sagt sie: "Der Präsident hat uns während dieser extrem schwierigen wirtschaftlichen Situation in der Coronakrise gerettet."

Yolande Houver ruft in Thionville ihre Mitbürger auf, Macron zu wählen.
Yolande Houver ruft in Thionville ihre Mitbürger auf, Macron zu wählen. | Bild: WDR

Aber nicht überall in der Region haben es die Wahlkämpferinnen so leicht. "Wir merken: Je weiter man rausgeht – und je schwieriger der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen oder dem öffentlichen Transport ist, desto eher wird Le Pens Partei Rassemblement National gewählt", erzählt Isabell Rauch, Abgeordnete der Nationalversammlung LREM. Zurück auf dem Bouleplatz in Florange. Joseph macht sich Gedanken, dass wie in der ersten Runde viele Leute einfach gar nicht zur Wahl gehen. "Die Wahlen sind sehr wichtig. Es geht schließlich um unsere Überzeugungen", sagt er. Aber auf dem Platz geht es aber erst einmal um andere Gewinner.

Autorin: Friederike Hofmann/ARD Studio Paris

Stand: 24.04.2022 19:49 Uhr

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