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Frankreich: Zittert die Bourgeoisie?

Frankreich: Zittert die Bourgeoisie? | Bild: dpa / picture-alliance

Frankreich wählt einen neuen Präsidenten und das Land ist gespalten. Klar aber scheint eines: Sogenannte "etablierte" Kandidaten werden es wohl nicht schaffen. Frankreich und die Franzosen wenden sich ab vom Establishment. Die gewohnte Sicherheit ist dahin. Denn egal ob konservativ oder sozialistisch, der Präsident gehörte bisher dem Establishment an, einer kleinen Gruppe von Menschen, die unter sich bleibt. Die Pariser Bourgeoisie.

Sie gehen gemeinsam in den Kindergarten, in die Eliteschulen und die Elite-Verwaltungsuniversität und sie heiraten nur Ihresgleichen. Das steht jetzt möglicherweise auf dem Spiel. Die besten Chancen in die Stichwahl zu kommen haben Kandidaten, die bewusst diese Führungsrolle der Bourgeoisie in Frage stellen und sogar den Konsens der EU-Zugehörigkeit aufkündigen möchten. Wie reagiert das Establishment, zittert die Bourgeoisie?

Mathias Werth ARD-Studio Paris

Hier hole sich sogar der liebe Gott die gute Laune, schrieb Heinrich Heine. Paris. Leben auf der Sonnenseite. Besonders im feinen Saint Germain, wo das gehobene Bürgertum lebt, die mit Geld und stillem Einfluss. Die Pariser Bourgeoisie. Wer wird Präsident ihres Landes? Über nichts wird so heftig debattiert.

Trotz Affäre pro Fillon

Regelmäßig treffen sie sich zum Apéro – wie hier auf der unübersehbar weiten Dachterrasse von Xavier Huvelin, einem angesehenen Pariser Architekten. Paris liegt ihnen zu Füßen. Die Deutsch-Französin Lisa Letulé ist heute da und Danielle Charbonnel – auch eine Freundin. Catherine Huvelin, Unternehmensberaterin, Coach und Gattin von Xavier, kommt auch endlich. Champagner. Häppchen. Gedanken zur Lage der Welt. Besonders der zukünftigen im Elysée-Palast. "Fillon, der hatte ein sehr gutes Programm, aber war es nicht egoistisch von ihm, nur an sich denken?" fragt sich Lia Letulé. "Ja, das denke ich auch", meint Xavier Huvelin. "Ich dachte auch, Fillon würde zurücktreten."

Kandidaten auf Wahlplakaten
Fillon ist der Favorit des Bürgertums. | Bild: SWR

Danielle Charbonnel erwidert: "Ich nicht, dann hätte er ja zugegeben, dass er schuldig ist. Stellt euch das mal vor!" Und wieder Xavier Huvelin: "Man spricht mittlerweile nur noch über die Skandale, nicht mehr über seine tatsächlichen Vorschläge. Fillons politisches Programm rückt in den Hintergrund, und man hört ihm nicht mehr zu." Danielle Charbonnel: "Er ist kein Krimineller" sagt Danielle Charbonnel. "Er hat Fehler begangen, das stimmt. Schlimme Fehler. Aber dieses Geld gehörte ihm. Wenn er es nicht seiner Frau gegeben hätte, dann hätte er es jemand anderem gegeben. Er bleibt mein Kandidat, absolut."

"Mehr Gleichheit" – fordern auch die Pferdefreunde

Ja, kein Zweifel. François Fillon, der streng konservative Katholik, der mit der Affäre um Scheinbeschäftigung, das ist ihr Mann. Trotz alledem. Der gibt sich derweil ein Stelldichein mit den Freundinnen und Freunden des Galopps – etwas weiter draußen in Saint Cloud. "Für mich gibt es nur einen Kandidaten, das ist François Fillon, das ist klar", meint Claudine Laigre vom "Hippodrome Pornichet La Baule". "Das Programm von Monsieur Fillon scheint mir das effizienteste zu sein, um Energien freizusetzen, uns von den Zwängen zu befreien und die Arbeitskosten an das deutsche Niveau anzupassen", ergänzt der Rennpferdbesitzer und Steuerberater Paul Naim.

Pferd
Bei den Zuschauern auf der Pferderennbahn hat Fillon leichtes Spiel.  | Bild: SWR

Und die Rennpferdbesitzerin Nathalie Decourcelle ergänzt: "Wir unterstützen den Kandidaten der Rechten, weil das unseren Überzeugungen entspricht. Ich bin aber auch für mehr Gleichheit – und das obwohl ich rechts bin. Sehen Sie, wir haben auch ein Herz." Der Kandidat der Bourgeoisie braucht hier nicht viele Worte. Kurz ein paar Sätze, dass die Belastungen von Unternehmern gesenkt werden müssten und dass er ja selbst ein großer Pferdefreund sei. Trés impressionné. "Ich wünsche mir auch Wohlstand für Frankreich, dass sich das Land entwickelt, modernisiert, öffnet und an die Welt, die sich fortlaufend verändert, anpasst", sagt Baron Edouard de Rothschild.

Warten auf den Prinzen, der Frankreich wach küsst

Vielleicht finden sich hier noch andere Favoriten. Ein Defilée der ganz besonderen Art – fürs Pariser Establishment. Hier sitzen die, denen draußen die radikalen Parteien gerade an den Kragen wollen. Was erwarten sie hier von der Wahl? Wen wünschen sie sich als neuen Präsidenten? Was befürchten sie? "Ich bin im Herzen Franzose – Gustave Eiffel, meine Familie, wir sind deutschen Ursprungs, denn wir kommen aus der Eiffel", sagt Philippe Coupérie-Eiffel, ein Ur-Ur-Enkel des berühmten Baumeisters. "Uns geht’s hier auch nicht schlechter als in Deutschland, das glaube ich nicht. Aber wir müssen das Geld zurückholen, das ins Ausland gebracht wurde. Viele Leute sind gegangen. Sie waren besorgt darüber, was hier passierte und investierten daher nicht genug in Frankreich."

Festlich gedeckter Tisch
Zur Not bleibt das Geld eben im Ausland. | Bild: SWR

Pierre-Jean Chalençon, Kunst-Sammler meint: "Frankreich ist eingeschlafen. Es ist ein bisschen wie bei Dornröschen. Wir warten auf den charmanten Prinzen, der die Prinzessin wachküsst. Die Prinzessin, das ist Frankreich. Ich hoffe, dass mit Fillon oder Macron an der Macht die Menschen wieder nach Frankreich zurückkehren und hier ihr Geld ausgeben. Aber nur nicht Marine Le Pen. Ansonsten sind wir wirklich in der Bredouille." Ja, Fillon. Oder Macron. Zur Not. Vielleicht. Echte Sorge vor dem, was kommen könnte, die haben sie nicht. Zur Not bleibt das Geld halt im Ausland. "Es ist wichtig zu analysieren, aufzupassen, optimistisch zu bleiben und ein schönes Land wie das unsere zu behalten, denn wir haben ein sehr schönes Land", meint Philippe Coupérie-Eiffel.

Angst vor den Extremen

Im privaten Salon von Catherine und Xavier Huvelin debattieren sie noch immer über das, um was es ihnen jetzt geht. Danielle Charbonnel sagt: "Wir haben gearbeitet, wir haben damit Geld verdient. Wir würden gerne unseren Kindern davon etwas überlassen. Wenn dieses Geld in der nahen Zukunft an Wert verliert, dann würde uns das natürlich stören." "Die Sache, die mich deshalb am meisten verängstigt, ist alles, was sich ins Extreme bewegt, rechts oder links, die sprechen mich überhaupt nicht an", so Catherine Huvelin.

Zwei Frauen und ein Mann diskutieren in einem Zimmer
Im privaten Salon der Bürgerlichen sorgt man sich um die wirtschaftliche Stabilität.  | Bild: SWR

Aber genau die gewinnen ja gerade an Einfluss. Wer – außer Fillon – könnte dagegenhalten? Der junge Monsieur Macron vielleicht? Lisa Letulé: "Erst war Macron für mich so ein junger, schöner, intelligenter, aber inzwischen frage ich mich, ob er nicht doch der ist, der alle zusammen bringen kann gegen die Extremen." "Er präsentiert sich gut, er ist schlau, er ist unbescholten, er ist perfekt", meint Xavier Huvelin. "Aber man vergisst, dass er mehrere Jahre als Ratgeber von François Hollande arbeitete." Und Catherine Huvelin fordert: "Es sind doch Politiker. Wir brauchen einen Präsidenten, der mit Menschen wie Putin oder Trump umgehen kann. Die haben doch auch keine weiße Weste. Da benötigen wir doch keinen Schutzengel, keinen Heiligen." Der gottesfürchtige Fillon – hier käme er wohl ganz nah an die 100 Prozent. Ob dem das da ganz oben eine Freude wäre, wenn er mal wieder auf Paris schaut? Vielleicht, wenn er die Wolken beiseite schöbe – und das ein oder andere der zehn Gebote. Vielleicht.

Stand: 14.07.2019 11:04 Uhr

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