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Serbien/ Mazedonien: Die Toten der Balkanroute

Serbien/ Mazedonien: Die Toten der Balkanroute | Bild: dpa / picture-alliance

Manche sind erfroren, manche vor Erschöpfung zusammengebrochen. Manche wurden Opfer von Gewaltverbrechen und manche wurden nachts, als sie entlang der Eisenbahnlinien liefen, von einem Zug erfasst und getötet. Es gibt viele Tote auf der Balkanroute. Und das Gemeinsame ist: Es wird kaum über sie berichtet.

Oft kümmert es die staatlichen Behörden nicht einmal, wer die Menschen sind, die auf der Flucht ihr Leben verloren haben. Schnell begraben, schnell vergessen. Wären da nicht private Flüchtlingshelfer, die Gräber pflegen, Identitäten feststellen und den Toten ein würdiges Gedenken geben wollen.

Ein Film von Darko Jakovljevic (ARD-Studio Wien).

Lence und Angel Zdravkin
Lence und Angel Zdravkin. | Bild: SWR

Die Dornen stechen jedes Mal. Aber so, sagt Lence Zdravkin, hielten sie auch ungebetene Gäste von diesem Ort fern, den sie oft besucht: Am Stadtrand von Veles in Mazedonien. Ein Grabstein, den sie aus eigener Tasche bezahlt hat. Gedenken an die Toten auf der Balkanroute. An Menschen, deren Namen niemand kennt: "Ich komme ganz oft hierher, zum Grab dieser unbekannten Flüchtlinge. Irgendwo sind Mütter, die ihre Söhne vermissen. Aber wir wissen nicht, wer hier liegt." "Gibt es Hoffnung?" "Ich hoffe immer noch. Mein Gefühl sagt mir, eines Tages wird sich eine Mutter schon melden." 14 Männer liegen hier, keiner älter als 30 Jahre.

Den Toten ihre Identität wiedergeben

Gedenktafel für die Toten auf der Balkanroute
Gedenktafel für die Toten auf der Balkanroute. | Bild: SWR

April 2015. Die Toten werden von der örtlichen Moscheegemeinde bestattet. In Europa ist die Tragödie nicht einmal eine Randnotiz – ein Zug hatte eine Flüchtlingsgruppe überrollt. Unbegreiflich für Lence und ihren Mann Angel. Immer wieder verbreiten sie die Bilder in sozialen Medien und hoffen, dass irgendjemand den Toten ihre Identität zurückgeben kann. Von Behörden hingegen erwarten sie nichts mehr: "Meine Frau und ich mussten der Staatsanwaltschaft und der Stadtverwaltung hinterherrennen. Wir wollten wissen, was mit den Toten passiert. Doch niemand fühlte sich zuständig. Unser Eindruck: Die Behörden wollten alles nur rasch hinter sich bringen."  So hieß es offiziell sehr schnell, eine Identifizierung sei nicht möglich. "Am Unglücksort fanden wir Papiere. Doch die hatten alle das gleiche Geburtsdatum", erklärt die Staatsanwältin Slavica Temelkovski. "Es war damit klar, alles war gefälscht." Herkunft, Name der Gestorbenen: Es interessierte niemanden. Bis auf Lence. Zuhause empfängt sie den örtlichen Imam. Lence sammelt Kleider für Migranten, die immer noch an ihrem Haus vorbeikommen.

Die Erinnerung an die Toten lässt auch den Imam nicht los: "Ich sah abgetrennte Gliedmaßen von der Größe dieses Kleidungsstücks, von Stadtmitarbeitern in durchsichtigen Mülltüten gepackt", sagt der Imam Seyfeddin Selimovski. "Ich sollte sie beerdigen. Nein, dachte ich. Nicht so! Jeder hätte sich gefragt: Wo bin ich hier? Bei einem Begräbnis oder in einem Schlachthof. Ob Migranten, oder Illegale, es sind Menschen. 14 sind tot, und ich beschaffte Leinentücher, in Weiß und blickdicht – Ich bat die Behörden um Unterstützung: Die Antwort: Für Leichentücher gibt’s kein Geld."

Finger zeigt auf Landkarte
Die Behörden interessieren sich wenig für die Toten.  | Bild: SWR

Tote auf der Balkanroute: Für Hilfsorganisationen Alltag. Menschen, die erfrieren, die vor Erschöpfung zusammenbrechen, die Opfer von Gewaltverbrechen werden. Genaue Zahlen aber gibt es nicht. Keine Stelle, die sie zusammenträgt. "Wir wissen zu wenig. Es gibt noch zu viele Lücken", sagt Mohammed Arif vom UN-Flüchtlingshilfswerk in UNHCR in Mazedonien. "Priorität jedenfalls hat das Thema auf dem Balkan keine. Begonnene Untersuchungen von Behörden hören oft einfach auf, und tote Migranten kommen in der Region meist schnell unter die Erde."

Wie kommen die Eltern ans Grab ihres Kindes?

Männer tragen Bahren auf Friedhof
Auch Kinder sind unter den Opfern. | Bild: SWR

Serbien. Novi Pazar. Auf dem muslimischen Friedhof liegt seit acht Monaten: Sahel, vier Jahre alt. Aus Afghanistan. Er war auf dem Marsch entlang der Balkanroute zu Tode gestürzt. Der Vater Hamayoon, im blauen T-Shirt, lässt seinen Sohn am darauffolgenden Tag begraben. Die Mutter will unerkannt bleiben – aus Scham, weil sie ihren Jungen nicht beschützen konnte.

Sahels Grab, heute. Denis und Misala wurden zu Flüchtlingshelfern. Sie standen letzten Sommer den verzweifelten Eltern zur Seite. Auch als diese entschieden, ihren toten Sohn in Serbien zurück zu lassen. Inzwischen sind die Eltern in Deutschland. Der Kontakt zu Denis und Misala ist geblieben. "Hallo Hamayoon." "Hallo, wie geht es Ihnen?" "Ja, es geht mir gut." "Wir sind gerade eben angekommen, am Grab Ihres Jungen." "Was glauben Sie, ist ein Besuch hierher für sie möglich?" "Ich möchte nach Novi Pazar kommen. Mein Problem aber: Ich habe kein Reisepass." Die Eltern sind beide im Asylverfahren. Eine Besuchsregelung aber gibt es nicht, für Gräber auf der Balkanroute.

Zurück in Mazedonien. Lence und Angel schauen auf Zuggleise vor ihrem Haus. Migranten orientieren sich an ihnen – auf ihrem Weg Richtung Norden. "Es hört sich immer gleich an, wenn sie hier unten vorbeikommen", sagt Lence Zdravkin. "Wir hören das sofort, selbst drinnen im Wohnzimmer." Vor Kurzem halfen sie einer Gruppe mit Proviant. Sie wollten verhindern, dass jemand vor Entkräftung nicht hört, wenn ein Zug kommt.

Stand: 14.07.2019 03:18 Uhr

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