So., 10.07.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
China: Weltmacht mit tief verwurzeltem Rassismus
"Ich bin ein schwarzer Teufel, mein IQ ist niedrig" skandiert eine Gruppe afrikanischer Kleinkinder auf Chinesisch in die Kamera. Ein Video von vielen dieser Art im chinesischen Internet. Massenhaft kursieren solche Videos von schwarz-afrikanischen Kindern, halb nackten afrikanischen Männern oder Frauen im Netz. Über Online-Plattformen können sie für umgerechnet etwa 20 Euro mit individueller Botschaft in Auftrag gegeben werden. Trotzdem heißt es von der Regierung, es gebe Null Toleranz gegenüber Rassismus. Aber auch im Staatsfernsehen spielen schwarz angemalte Chinesen die Rolle von Deppen. Chinas Bevölkerung besteht zu 92 Prozent aus Han-Chinesen. Jahrhunderte lang war das Land isoliert, Multi-Kulti war hier noch nie ein Konzept.
Als Schwarzer in China
Olufemi lebt seit 13 Jahren in China. Sein Mandarin ist quasi perfekt. Eigentlich ist Peking sein Zuhause. Aber wegen seiner Hautfarbe wird er oft ausgeschlossen. "Ich werde immer daran erinnert, dass ich schwarz bin. Mir wird vermittelt, dass ich anders als alle anderen bin. Sie versuchen nicht zu überlegen, wie fühlt sich das für die andere Person an. Oder vielleicht stimmt etwas nicht mit mir, wenn ich jemandem lauthals 'ein Schwarzer' hinterherrufe." Freundlich ist das zudem selten gemeint, findet er. Dunkle Haut sei schlechter, wird ihm widergespiegelt. Am deutlichsten merkte er das bei der Arbeitssuche. "Ich habe festgestellt, dass sie dir ganz direkt sagen: 'Tut mir leid, wir suchen Weiße.' Das verwirrt einen einfach."
Derzeit kursieren im chinesischen Internet verstörende Videos. Leicht bekleidete Afrikaner, die auf Chinesisch Einwohnern in Shanghais Lockdown Grüße zurufen. Auf einer Amazon-ähnlichen Plattform finden wir die Anbieter dieser individualisierten Videos. Wir treten mit einem in Kontakt. Er schickt uns eine Preisliste. Innerhalb von 24 Stunden - so schreibt er – kann er ein Video liefern. Alle entsprechen dem Bild des primitiven Afrikaners. Tanzende Kinder im Bild kosten umgerechnet etwa 13 Euro. Tanzende Männer mit Gewehren 20 Euro. Ein Beispielvideos schickt er mit.
Rassismus in der Werbung und im Museum
"Das erinnert mich sehr an die Menschenzoos früher", findet Runako Celina, "in denen die Leute reingeschlendert kamen, um Fotos zu machen und das 'Andere' zu inspizieren, normalerweise eine andere Rasse. Ich habe das Gefühl, das ist nun die moderne Variante davon." Runako Celina hat in China studiert. Kennt die abwertenden Stereotypen. In einer BBC-Dokumentation verfolgt sie die Spur eines besonders herabwürdigenden Videos. Kinder sprechen auf Chinesisch nach: "Ich bin ein schwarzer Teufel, Mein IQ ist gering.” Im afrikanischen Malawi findet sie den Mann, der seit Jahren massenhaft diese Videos produziert. Für ihn einfach eine gute Einnahmequelle. Was Runako vor allem stört: in China fehlt das Problembewusstsein – und damit ein Weg zur Besserung. "Diese Industrie ist ein Beispiel dafür, dass es insgesamt in China ein Problem damit gibt, die Existenz von Rassismus anzuerkennen."
Im Jahr 2016 störte sich wochenlang niemand an einer Waschpulver-Werbung im chinesischen Fernsehen. In dem Spot schiebt eine asiatische Frau einem schwarzen Arbeiter eine Waschmittelkapsel in den Mund und stößt ihn kurzerhand kopfüber in eine Waschmaschine. Nach einem kurzen Waschgang wird die Maschine geöffnet und ein blasser asiatischer Mann kommt mit einem Augenzwinkern heraus, sehr zur Freude der Frau. Auf Anfrage von ausländischen Medien gab der Waschmittelhersteller an, das Problem nicht erkannt zu haben. Ein Jahr später schockiert eine Foto-Ausstellung im chinesischen Wuhan einen ausländischen Besucher. Die Ausstellung mit dem Titel "Das Gesicht spiegelt den Geist wider" vergleicht Gesichter von Schwarzen mit Tieren. Ein Foto eines älteren Mannes etwa ist neben dem eines Affen zu sehen. Ein Kind mit offenem Mund ist neben einem Gorilla mit aufgerissenem Maul abgebildet. Erst nach Hinweisen einiger afrikanischer Botschaften entfernte das Museum die Bilder. Viele Wochen war der Rassismus niemandem aufgefallen.
In China fehlt das Problembewusstsein für Rassismus
Auch Jacobie Kinsey hat diese Schamlosigkeit erlebt. Er wohnt in Shanghai, war dort auch während des Lockdowns. 25 Mio. Menschen konnten ihre Wohnanlagen nicht verlassen. Die Stimmung drohte teilweise zu kippen. "Es war am Ende der ersten Woche des Lockdowns. Die meisten Leute hatten nur Essen für eine Woche in der Wohnung. Allen Leuten gingen in dieser Zeit also die Lebensmittel aus." In einem Gruppenchat tauschen sich die Anwohner seines Hochhauses aus, wie sie an Essen kommen können. "Und da sagte ein Typ, vielleicht könnten wir den Schwarzen im siebten Stock essen. Ich hatte das Gefühl, ähm, ich dachte, ja, der Kerl könnte einen Scherz machen, aber es könnte auch eine ernste Sache sein." "Dont eat me" – "Iss mich nicht auf” antwortet Jacobie. Seine Freunde verbreiten den Chatverlauf. Unter Ausländern in China ist der Spruch zu einem zynischen Witz geworden.
In der chinesischen Öffentlichkeit aber ist Rassismus gegenüber Schwarzen kein Thema. Großen Aufruhr gab es dagegen, als im vergangenen Jahr westliche Firmen chinesische Models mit ausgeprägt schmalen Augen zeigten. Der Fotografin von DIOR wurde Herabsetzung von Chinesen vorgeworfen. Sie musste sich öffentlich entschuldigen. "Es wäre schön" sagt Olufemi, "wenn Chinesen das gleiche Bewusstsein hätten, wenn sie Afrikaner darstellen." Aber ohne Problembewusstsein und ohne offene Diskussion scheint das in China nur schwer erreichbar. Zumal die derzeitige Staats-Führung eher noch den Nationalismus hochhält.
Autorin: Tamara Anthony, ARD-Studio Peking
Stand: 11.07.2022 09:27 Uhr
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