SENDETERMIN So., 12.07.20 | 19:20 Uhr | Das Erste

Hongkong: Peking setzt sich durch

Mann hält Leeres Blatt Papier in der Hand
Leere Zettel als Zeichen des Protests | Bild: SWR

"Es passiert genau das, was wir im Geschichtsunterricht über die Kulturrevolution in China gelehrt haben", berichtet ein Lehrer aus Hongkong, der nicht erkannt werden möchte. Sie werden gezwungen, Bücher aus der Schulbücherei zu entfernen, weil sie nicht in die Linie passen.

Mit dem neuen Sicherheitsgesetz setzt Peking nicht nur demokratische Garantien außer Kraft, das chinesische Regime übernimmt die ehemalige Kronkolonie. Alle Zeichen stehen auf Repression und Ende des Sonderstatus von Hongkong und seinen Bewohnern.

Das neue Sicherheitsgesetz zeigt Wirkung

Leere Klebezettel an Scheibe
Wo früher Protest geäußert wurde – jetzt nur noch leere Zettel | Bild: SWR

Nur zwei Wochen – vieles hat sich Hongkong verändert. Sichtbar ist es auch im Straßenbild. Vormals hatten viele Cafés und Restaurants Aufkleber mit Pro-Demokratie Parolen. Jetzt sind die Zettel unbeschriftet. Auch beim Café-Betreiber Dickson. Es ist die neue Form des Protests. Eine politische Forderung birgt zu viel Risiko. "Die Polizei könnte das Gesetz zur nationalen Sicherheit anwenden. Schon eine Anschuldigung kann dazu führen, dass wir verhaftet und strafrechtlich verfolgt werden." Demonstrationen mit leeren Zetteln. Politische Meinungen – über Nacht sind sie in Hongkong zur Gefahr geworden. 

Gleich am ersten Tag des Inkrafttretens: Die erste Verhaftung auf Grundlage des sogenannten Sicherheitsgesetzes. Ein junger Mann mit einer Flagge, die die Unabhängigkeit von Hongkong fordert. Nach zwei Wochen – bereits 10 Verhaftungen. Welche Slogans verboten sind und welche nicht - niemand weiß es: "Eigentlich sollte man nicht im Ungewissen gelassen werden", meint Philip Dykes, Vorsitzender der Rechtsanwaltskammer Hongkong. "Aber das hat den Vorteil, dass die Leute vorsichtiger sind und weniger bereit, sich zu äußern. Das wird wohl so gewünscht sein."

Bibliotheken und Schulen als Zielscheibe

Regal mit Büchern in einer Bibliothek
Kritische Bücher sollen entfernt werden | Bild: SWR

Die öffentlichen Bibliotheken und Schulbibliotheken der Stadt sind aufgefordert, Bücher zu entfernen, die nicht auf Linie sind. Titel von Demokratie-Aktivisten sind bereits nicht mehr zu bekommen. Viele Lehrer sind entrüstet. Doch Widerstand kann sie den Job kosten. Seit den Plänen für das neue Gesetz trauen sich viele in Hongkong nur noch verdeckt, Kritik zu äußern. "Wir sehen, dass die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit aber auch die Publikationsfreiheit sehr stark eingeschränkt wurden und die Regierung das stark kontrolliert", klagt der stellvertretende Schuldirektor. "Es fühlt sich an, als ob die Kulturrevolution im 20. Jahrhundert nach Hongkong kommen würde."

Die junge Generation war in der Pro-Demokratie-Bewegung besonders aktiv. Nun werden Schulen zur Zielscheibe von Pekings sogenanntem Sicherheitsgesetz. Auch private Äußerungen von Lehrern werden überwacht. "Behörden bekommen Beschwerden über politischen Meinungen von Lehrern", sagt der stellvertretende Schuldirektor. "Dann fordern sie die zuständige Schule auf, Erkundigungen über den Lehrer anzustellen. Oder der Lehrer wird verwarnt. Das ist eine sehr große Veränderung zu früher.” 

Ein freies Hongkong gibt es nicht mehr

Die Atmosphäre an den Schulen hat sich verändert, erzählen die Schüler Cake und KFC. Es sind nicht ihre echten Namen, aber auch sie wollen nicht erkannt werden. Vor einem Monat hatte sich die Musik-Klasse von Cake das Lied “Glory to Hongkong” als Examens-Thema ausgesucht. Es wurde im vergangenen Jahr zur Hymne des Protestes und ein viraler Hit. Schüler und Studenten hatten es entwickelt, ein Video aufgenommen und über Soziale Netzwerke verbreitet – oft wurde es auf Demonstrationen gesungen. Doch die Musiklehrerin von Cake zahlte einen hohen Preis dafür, dass sie das Lied zuließ. Die Schule entließ sie. „Ich gehörte zu den Schülern, die das Lied in der Musikstunde vorgetragen haben", erzählt Cake. "Ich fühle mich schuldig. Wegen des Liedes wurde die Lehrerin gefeuert. Wir dachten nicht, dass es für sie so schlimme Konsequenzen haben wird.“

Festgenommener Mann auf dem Boden sitzend umringt von Polizisten
Gleich nach Inkrafttreten des Sicherheitsgesetzes gab es Verhaftungen | Bild: SWR

Was Cake und KFC besonders ärgert: Die Begründung für die Entlassung war, Lehrer dürfen die Schüler nicht beeinflussen. Aber Patriotische Lieder über die kommunistische Partei Chinas sind in der Schule erlaubt. "Das Lied 'Ohne die kommunistische Partei gäbe es kein neues China' wird nicht als politisches Lied definiert. Warum soll dann 'Glory to Hongkong' ein politisches Lied sein?" fragt sich KFC. Cake und KFC wollen weiter demonstrieren gehen. Der 14 und der 16-jährige wollen nicht akzeptieren, dass das neue Gesetz bereits ihren Lebensweg verändert hat. Das freie Hongkong gibt es nicht mehr. Wo vormals mehr als eine Million Menschen für ihre Rechte auf die Straße gingen – herrscht jetzt Unsicherheit und Angst.

Autorin: Tamara Anthony, ARD-Studio Peking

Stand: 12.07.2020 21:00 Uhr

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