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Chile: Agrargift für die Nutella-Nüsse?

Chile: Haselnüsse mit Pestiziden | Bild: SWR

Chile ist mittlerweile eines der größten Haselnuss-Anbaugebiete der Welt. Industriell werden die Nüsse produziert. Und, das zeigt Matthias Ebert (ARD-Studio Rio de Janeiro), es werden Pestizide eingesetzt, die in der EU längst verboten sind. Trotzdem kommen die Haselnüsse tonnenweise nach Europa. In Form von Nutella, denn Hauptabnehmer ist die Firma Ferrero. 

Pestizide werden auf Feld versprüht
Kampf dem Unkraut – und wo bleibt die Gesundheit? | Bild: SWR

Sie sprühen Pestizide – jetzt im chilenischen Frühling. Später, im Sommer, soll kein Unkraut die Haselnuss-Ernte behindern. Diese Sträucher von David Valenzuela sind gerade mal drei Jahre alt. Und sollen schon bald Profit abwerfen. Dank der gefragten Haselnüsse. "Der Haselnuss-Anbau wächst explosionsartig", erzählt David Valenzuela, Agrartechniker und Haselnuss-Bauer. "Jedes Jahr steigt die Zahl der Felder. Unsere gesamte Produktion verkaufen wir an AgriChile. Diese Firma des Ferrero-Konzerns beherrscht unseren Markt für Haselnüsse." Wo vor wenigen Jahren noch Mais stand, wachsen jetzt die Haselnüsse, die nahezu vollständig vom Ferrero-Konzern exportiert werden.

Haselnüsse stecken in der Nuss-Nougat-Creme Nutella. Marktführer in Deutschland. Doch was steckt dahinter? Seit Kurzem ist es der Wirtschaftszweig in Chiles Region Maule geworden: Der Export von Pestizid-behandelten Haselnüssen. "Wir besprühen den Boden mit Glyphosat und anderen Unkrautvernichtungsmitteln, die verschiedene Namen tragen", erklärt David Valenzuela. Auf Ferreros firmeneigenen Plantagen in Chile warnen Schilder vor Pestiziden wie Glyphosat, dem umstrittenen Unkrautvernichter. Noch in der EU zugelassen – allerdings unter Verdacht, krebserregend zu sein.

Agrargift für die Nutella-Nüsse?

Behälter mit Aufschrift Paraquat
In Europa verboten, in Chile erlaubt | Bild: SWR

Wir haben einen Tipp bekommen, der Vorwurf: man setze auch härtere Pestizide ein. Eine Person, die hier lebt, ist bereit zu reden. Aus Angst vor der Agrarlobby nur anonym. Man sprühe hier auch das Agrargift Paraquat, das in Europa verboten ist. Denn neben Krebs könne es auch Nierenversagen und Fortpflanzungsprobleme auslösen. "Die Arbeiter der Haselnussplantagen sagten, dass sie Paraquat benutzen. Es sei verträglicher als Glyphosat. Dabei ist es in Europa seit fast zehn Jahren verboten." Ein Agrargift für die Nutella-Nüsse? Man zeigt Fotos einer Spritzaktion. Unser Informant versichert, es handele sich um einen Ferrero-Zulieferer – und um besagtes Agrargift Paraquat. Kann das sein?

Wir finden Behälter am Straßenrand. Darunter auch: Paraquat. Das stützt die Aussage des Informanten. Der giftige Unkrautvernichter darf rein rechtlich in Chile eingesetzt werden. Das macht es profitabel und einfach, Haselnüsse in Chile industriell anzubauen. Überall entstehen neue Plantagen. Wir haben Ferrero um eine Stellungnahme gebeten. Der Konzern teilt wörtlich mit: "Unsere eigenen chilenischen Plantagen verwenden seit Jahren kein Paraquat. (…) Die zwischen Ferrero und den chilenischen Lieferanten geschlossenen Verträge beinhalten die eindeutige Verpflichtung, weder Paraquat noch andere in der EU verbotene Pflanzenschutzmittel einzusetzen."

Haselnuss
Ferrero beherrscht den Markt für Haselnüsse | Bild: SWR

Doch wie sieht die Realität aus in Chiles Haselnuss-Anbaugebieten? Wir treffen einen ehemaligen Arbeiter einer lokalen Plantage. Lazaro Aburto berichtet uns vom Einsatz von Paraquat. "Man sprüht bis nahe an die Häuser heran. Mit Glyphosat und auch Paraquat. Alles was die Agrarchemie-Industrie empfiehlt, setzen sie hier auch ein." Dies sei in Chile legal, erklärt der Präsident des Nussverbands, solange Paraquat bei der Ankunft in Europa nicht mehr nachgewiesen wird. "Der Exporteur Ferrero muss nur darauf achten, die europäischen Regeln für Pestizid-Rückstände einzuhalten, sobald der Hafen in Europa erreicht wird", sagt Nicolas di Cosme, Präsident von ChileNuts. "Dafür müssen sie sorgen." Ferrero teilt mit, dass ihre Rohstoffe auf Pflanzengifte getestet werden: "Alle Haselnüsse werden (…) auf mögliche Kontaminanten wie Paraquat (…) analysiert. Bisher wurden keinerlei Rückstände gefunden."

Folgen für die Kinder

Doch welche Folgen hat der Einsatz von Pestiziden für die Menschen in Chile – vor allem für Kinder? Ihre Schulen liegen inmitten der Felder. Oft ohne Sicherheitsabstand. Seit Jahren schlagen Schulleiter Alarm – bislang ohne Erfolg. "Wir haben viele Kinder mit großen Lernschwächen", klagt Cesar Domarchi, Schuldirektor in San Clemente. "Wir gehen davon aus, dass dies mit den Pestiziden zusammenhängt." Diese Vermutung bestätigen Wissenschaftler.

Schüler spielen auf Schulhof
Es gibt Schulen inmitten der Haselnuss-Felder | Bild: SWR

Maria Muñoz Quezada untersucht seit Jahren die Folgen von Agrargiften. Dabei fand sie im Urin der Schulkinder sogar Stoffe, die noch giftiger sind als Paraquat. "Uns hat überrascht, dass wir das hochgiftige Parathion nachgewiesen haben, welches wir eigentlich gar nicht hätten finden dürfen. Denn dieses Agrargift ist in Chile verboten und darf nicht eingesetzt werden."

In einem Gesundheitszentrum inmitten der Felder treffen wir Raquel Gonzalez. Sie hat ihr Leben lang hier zwischen den Agrarplantagen gelebt. Und als Erntehelferin von früh bis spät geschuftet. "Um sechs Uhr morgens schon begannen wir, auf dem Feld zu arbeiten. Jahrelang. Und jetzt, letztes Jahr, haben sie bei mir Krebs diagnostiziert. Magenkrebs. Sie mussten mir einen zweieinhalb Kilo schweren Tumor herausoperieren." Ob ein Zusammenhang zwischen Agrargiften und dem Tumor besteht, lässt sich nicht beweisen. Dennoch fordern Wissenschaftler ein Verbot von verdächtigen Pestiziden. Ungeachtet dessen wachsen die Haselnuss-Anbauflächen weiter, und damit auch der Bedarf an Pestiziden.



Stand: 30.08.2019 01:29 Uhr

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