Mo., 17.07.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Brasilien: Fischhaut rettet Leben
Ein Kühlschrank voller Fischhäute. Luftdicht verpackt. Der neue Schatz im Krankenhaus von Fortaleza. Hier präparieren sie die Häute des Buntbarsches Tilapia. Denn bevor die Haut als Wundauflage dienen kann, muss sorgsam jedes Stück einzeln sterilisiert werden. "Mit dieser Vorratsbank haben wir nun ständig Fischhäute für unser wissenschaftliches Projekt zur Verfügung", erklärt Edmar Maciel vom Institut José Frota Fortaleza. "Wir brauchen sie für Verbrennungsverletzungen und für die Behandlung schlimmer Narben."
Fischpflaster für die verbrannte Haut
Gerade ist Francisco ins Krankenhaus eingeliefert worden. Der kleine Junge hat sich seinen Oberkörper verbrannt, als ein Topf mit kochenden Bohnen vom Herd auf ihn gefallen ist. Ein Fall für Dr. Maciel und seine Fischhauttherapie. Der Mediziner legt Fischpflaster auf die verbrannten Stellen am Körper des Dreijährigen. Fischhaut beinhaltet viel Feuchtigkeit und vermeidet so Flüssigkeitsverlust sowie das Eindringen von Keimen. Außerdem gilt die schuppige Haut als besonders Kollagen- und proteinhaltig. Sie ist widerstandsfähig und ähnelt von der Struktur der menschlichen Haut. Zum Schluss fixiert der Arzt die ungewöhnliche Wundauflage mit einem üblichen Verband. "Der Verband ist wichtig für die Festigkeit", erklärt Dr. Maciel. "Gerade bei Kindern, die sich viel bewegen, ist es in den ersten beiden Tagen essentiell, dass sich die Fischhaut an den verbrannten Stellen fest anschmiegt."
Ergebnisse sind ermutigend
Prozedere überstanden, jetzt muss sich Francisco nur ausruhen. Im Operationssaal nebenan läuft bereits der nächste Einsatz. Mehr als 100 Patienten sind bei Verbrennungen zweiten und dritten Grades schon so versorgt worden. Die Ergebnisse sind ermutigend. Doch noch ist es nur ein Forschungsprojekt, das vor fast drei Jahren begann. Alle Patienten, die behandelt werden, nehmen freiwillig an der neuen Therapiemethode teil. Eine endgültige medizinische Zulassung fehlt noch.
Arm dank Fischhauttherapie gerettet?
Seine Hose mit Brandstellen hat Josué aufbewahrt. Der 35-jährige ist Elektriker und hatte vor sechs Monaten einen schlimmen Arbeitsunfall. Bei einem Kurzschluss jagte ein Stromstoß durch den ganzen Körper. Sein rechter Arm erlitt schlimme Verbrennungen. Josué trainiert ihn nun so viel er kann, damit er wieder Kraft in den Arm bekommt. Die Fischhauttherapie habe ihm den Arm gerettet, ist er überzeugt. Als Dr. Maciel ihm diese Behandlung vorgeschlagen hat, war er erst verdutzt, hat aber eingewilligt. Josué glaubt, dass die neue Methode die Schmerzen lindert und die Heilung beschleunigt. "Am Anfang war ich mir sicher, sie müssten mir die Hand abnehmen", sagt er. "Sie war total schwarz und ich konnte weiße Punkte sehen. Ich dachte, es waren die Knochen." Der Heilungsprozess verläuft sehr zufriedenstellend. Statt eines monatelangen Krankenhausaufenthalts, wie er befürchtete, konnte Josué bereits nach 20 Tagen nach Hause und arbeitet seitdem energisch an der weiteren Genesung. Und staunt über den Erfolg. "Beim Unfall sagten sie mir, ich werde eine Hauttransplantation benötigen, die war dann aber überflüssig. Dank der Therapie mit der Haut des Tilapias."
Tilapia auch für sein Fleisch geschätzt
Und von hier kommt die Wunderhaut: Ein Wasserreservoir rund 250 Kilometer südlich von Fortaleza. Die größten Zuchtanlagen für den Tilapia Buntbarsch in der Region. Nicht erst seit dem Forschungsprojekt, denn in Brasilien wird dieser Süßwasserfisch für sein Fleisch geschätzt. Jetzt aber haben die Fischer hier eine zusätzliche Nachfrage und sie haben sich darauf spezialisiert, die Haut so zu liefern, wie sie die Mediziner brauchen.
"Eine Revolution"
Kaum ein Tag vergeht am Krankenhaus in Fortaleza, ohne dass ein Patient mit Verbrennungen eingeliefert wird. Und viele sind bereit, die neue Methode auszuprobieren. Das Projekt läuft noch fast ein Jahr, doch für die Mediziner steht schon jetzt fest, dass der Tilapia die Behandlung von Brandopfern entscheidend nach vorne gebracht hat. Denn in Brasilien sind Hauttransplantationen bisher eher selten. "Die Behandlung mit der Tialpiahaut ist nicht nur ein Erfolg, sie ist eine Revolution", sagt Dr. Maciel. "Denn Brasilien hatte in den letzten 50 Jahren keine ausreichende Versorgung für Verbrennungsopfer, ohne die Nutzungsmöglichkeit von solchen Häuten."
Francisco ist nach der Behandlung zufrieden: "Jetzt habe ich eine Fischhaut", sagt er stolz. Zwei Tage nach dem Unfall geht es dem kleinen Jungen schon viel besser.
Autor: Michael Stocks, ARD Studio Rio De Janeiro
Stand: 16.07.2019 07:08 Uhr
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