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Brasilien: Favela Lieferdienst

Brasilien: Favela Lieferdienst | Bild: SWR

Eine Favela in Sao Paulo hat mitten in der Pandemie eine Reihe von Start Ups gegründet. Vom Lieferdienst, über eine Mikrokreditbank bis hin zur eigenen Modemarke. Alles selbst organisiert und Vorbild für das ganze Land.

Der "Favela Xpress" liefert jetzt die Pakete

Das Dreirad ist neu – so wie sein Job. Jonathan Perreira stellt Pakete zu. In seinem Viertel kennt sich kaum jemand so gut aus wie er. In der Favela Paraisópolis in São Paulo sind die Gassen eng – und am Ende muss er meist zu Fuß die richtige Adresse im Häuserwirrwarr finden. Für Lieferanten von außerhalb war das ein Problem. "Von außen traut sich sowieso keiner hier rein", sagt Jonathan Perreira. "Aus Angst. Und schau Dir mal diese Gasse an! Da findet sich kaum jemand zurecht."

Paketbote übergibt Paket an Kundin
Innerhalb der Favela übernehmen jetzt die Einwohner die Zustellung selbst | Bild: SWR

In Paraisópolis kam früher kaum ein Päckchen an, deshalb haben die Einwohner in dieser Lagerhalle ihren eigenen Favela-Lieferdienst gestartet. Hier kommen die Pakete an, die sie an 20.000 Haushalte verteilen. Dafür haben sie einen Deal geschlossen mit den großen Online-Händlern Brasiliens. Innerhalb der Favela übernehmen jetzt die Einwohner die Zustellung selbst. "Bis zum Pandemiebeginn wurden unsere Bestellungen fast nie richtig zugestellt", erzählt Giva Perreira, der Leiter von "Favela Xpress”. "Die Lieferanten kannten sich in unseren engen Gassen nicht aus. Und: Oft wurde den Fahrern aus Sicherheitsgründen verboten, hier Pakete zuzustellen."

Ein weiteres Projekt der Favela: die kostenlose Suppenküche

Wegen der Pandemie mussten die Favela-Einwohner auch nebenan die Ärmel hochkrempeln: Das Lagerhaus beherbergt jetzt eine Suppenküche – für Nachbarn, die ihren Job verloren hatten und in die Armut abgerutscht sind. Kostenlose Mahlzeiten finanziert durch Spenden. "Wegen der Pandemie hat sich alles verschlimmert", sagt Gelson Rodrigues Leiter des Projekts "G10 Favelas”, "weil die Regierung zu wenig tut. Also haben wir zu Spenden aufgerufen und damit verschiedene Initiativen gestartet. Anstatt ewig auf Hilfe der Regierung zu warten."

Essen wird verteilt
Spenden ermöglichen eine kostenlose Suppenküche  | Bild: SWR

So war das auch mit dem Lieferdienst. Wegen des Lockdowns bestellten immer mehr Bewohner online, sagt Jonathan. Aber kein Lieferant traute sich in die Gassen. Jetzt liefert er pünktlich: Die Fritteuse – ein Geburtstagsgeschenk für die Hausherrin. "Früher kam sowas nie an", sagt die Favela-Bewohnerin Alejandra Perreira. "Kein Wunder bei unserem chaotischen Viertel. Doch jetzt überreicht es mir unser Lieferdienst persönlich." Doch nicht alles funktioniert in Paraisópolis so gut. Noch immer fühlen sie sich hier als Menschen zweiter Klasse. Die Müllabfuhr und die Wasserversorgung funktionieren mehr schlecht als recht. Wer von hier kommt, ist bereits abgestempelt. "Es ist fast unmöglich, überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden", klagt Rayane Santos. "Ich werde immer abgelehnt, weil ich in Paraisópolis lebe."

Die Favela organisiert sich selbst

Im Lagerhaus arbeitet die Einwohnervereinigung an Lösungen. So haben sie bereits eine eigene Bank für Mikro-Kredite. Außerdem eine Näherei, in der zuvor arbeitslose Frauen an einer schicken Mode-Kollektion schneidern – "Made in Paraisópolis". Und es gibt sogar eine Marketing-Agentur von und für die Favela. "Wir wollen damit ein Beispiel für ganz Brasilien sein, wie sich Favela-Bewohner selbständig organisieren können", sagt Gelson Rodrigues. "Unsere Start-Ups werden derzeit in 16 Bundesstaaten kopiert."

Favela Paraisópolis
Favela Paraisópolis  | Bild: SWR

Für den Lieferdienst bezahlen die Kunden keinen Cent mehr. Dafür aber die großen Online-Händler, die froh sind über den gestiegenen Umsatz, weil die Pakete jetzt verlässlich ankommen. "Wir hatten anfangs nur sieben Paketzusteller in Paraisópolis" erzählt Giva Perreira. "Heute sind es mehr als 300. Sie liefern bis zu 3.000 Pakete am Tag aus. Dieses Modell macht jetzt überall in Brasilien Schule.

Übrigens mit Einverständnis der Drogen-Gangs, die defacto die Macht in den engen Gassen haben. Alle profitieren, Jonathan ist froh, dass er von Anfang an mit dabei war. "Ich mache den Job nun schon ein Jahr", sagt Jonathan Perreira. "Das hat mein Leben verändert, weil ich jetzt ein Gehalt habe. Das hilft meiner Familie." Eine Erfolgsstory, die gerade erst begonnen hat.

Autor: Matthias Ebert

Stand: 29.05.2022 21:30 Uhr

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