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Brasilien: Vom Regenwald zur Savanne

Brasilien: Vom Regenwald zur Savanne | Bild: SWR

Das große zusammenhängende Waldgebiet im Amazonasbecken wird als die Lunge der Erde bezeichnet. Hier werden große Mengen CO2 absorbiert, in Pflanzenwuchs sowie in Sauerstoff umgewandelt. Große Waldgebiete sind bereits durch Abholzung und Brandrodung zerstört. Der sich selbsterhaltende Kreislauf aus Regen, Verdunstung, Wolkenbildung und erneutem Regen droht ins Stocken zu geraten oder gar ganz zusammenzubrechen. Viele Indikatoren deuten darauf hin, dass sich der große Regenwald in absehbarer Zeit in eine trockene Savanne verwandeln könnte.

Die Folgen von Dürre und Trockenheit

Die Anreise zur Gemeinde Sissayma im Amazonas-Regenwald ist beschwerlich und das ist auch schon Teil der Geschichte. Schon zu normalen Zeiten braucht es vier Stunden, um von Manaus zum Ziel zu gelangen. Jetzt, durch die Dürre ist das Flusswasser extrem niedrig und so dauert es viel länger. Die Nebenarme sind derart ausgetrocknet, dass es keinen Weg mehr gibt. Anwohner mussten ihr zu Hause verlassen. Andere werden es vielleicht bald müssen.

Nach einer Stunde holt uns der Gemeindeanführer Oseias Cordeiro ab. Anders als sonst geht es nicht weiter, wir müssen von einem auf drei kleine, flache Boote umsteigen, sonst gäbe es hier kein Durchkommen mehr. "Nicht mal 20 Zentimeter, eine Handbreit, das haben wir hier. Mehr Gewicht und dann geht nichts mehr." Und dann geht auch nichts mehr. Eines unserer Boote bleibt stecken, und wir haben Glück, dass wir Hilfe bekommen.

Bauer mit Machete bei Maniokpflanzen
Die Maniokpflanzen verdorren in der Hitze | Bild: SWR

Und weil auch der Fluss versiegt, geht es eineinhalb Stunden zu Fuß weiter. Schulkinder müssen den Weg durch die große Hitze gehen, für jeden Einkauf müsste man den Weg gehen. Und ungefährlich ist es nicht. "Einer muss immer bewaffnet sein, weil jeden Moment könnte uns ein Jaguar angreifen", erklärt Oseias Cordeiro. "Er ist hier auf der Suche nach Wasser, weil der See ausgetrocknet ist.“ Um drei Stunden hat sich die Anreise verlängert. Die Dürre hat die kleine Gemeinde mit 39 Familien isoliert.

Und ihr größtes Problem ist jetzt das Essen. Zu den großen Flüssen mit mehr Fischen gelangen sie jetzt nur noch schwer, der eigene Fluss ist nahezu versiegt. Allein Oseias muss acht Kinder ernähren. "Es ist schwer Fische zu fangen. Wenn du eine große Familie hast und du fängst nur fünf Fische, dann reicht das nur für eine Mahlzeit."

Nur ein gesunder Regenwald bremst den Klimawandel

Das Amazonasbecken leidet unter der schwersten Dürre seit mehr als 120 Jahren. Nachbar Tardeles Faria sorgt sich um die kommende Ernte. Seine Maniokpflanzen verdorren in der Hitze. "Das hier ist für mich einfach nur traurig. Es hat mir soviel Arbeit gemacht, das alles zu pflanzen – total erfolglos. Und ein Einkommensverlust. Ich bete zu Gott, dass es bald regnet." Maniok ist die wichtigste Kohlenhydrat-Quelle für die Menschen hier, die sie zu jeder Mahlzeit essen. Und für Tardeles war sie die einzige Einkommensquelle. Doch jetzt hat er nur wenige der nahrhaften Wurzeln und auch nur kleine: "Ich sorge mich nicht so sehr um mich, ich sorge mich um die Zukunft der Kleinen. Wie können wir das alles für unsere Kinder erhalten?"

Patrouille der "Guardianes" läuft durch Regenwald
Die "Guardianes" wollen den Regenwald vor der Zerstörung schützen | Bild: SWR

Im Wald ist es kühl und das liegt nicht allein am schützenden Blätterdach. Ein gesunder Regenwald nutzt das Wasser des Bodens und gibt seinerseits Feuchtigkeit ab, das kühlt die Atmosphäre. Und er produziert selbst den so wichtigen Regen. Im mächtigen Amazonas-Regenwald sind bis zu 200 Milliarden Tonnen CO2 gebunden. Ein gesunder Regenwald bremst den Klimawandel. Doch er ist sehr bedroht. Seit dem Morgengrauen sind die "Guardianes" auf Patrouille, Indigene Wächter des Waldes. Tagelang ziehen sie durch ihr Gebiet, um es zu schützen. "Wir gehen mit Angst raus, wir werden bedroht, sie sagen, sie werden uns töten", sagt Cacique Ana Claudia Santos Mendes. "Sie wollen uns nicht auf unser eigenes Land lassen." Ihre Gegner: Goldgräber, Holzdiebe, Landräuber, die im Regenwald abholzen. Wen sie finden, vertreiben sie. Doch sorgt sich Ana, dass sie den Kampf gerade verlieren. "Unser Wald stirbt. Und für uns ist der Wald alles. Unser Leben hängt von einem gesunden Regenwald ab."

Regenwald setzt Kohlendioxid frei

Doch vielerorts ist der Regenwald nicht mehr gesund. In São Paulo erforscht Luciana Gatti den Zustand des größten Tropenwaldes der Erde. Seit Jahren misst die Klimaforscherin die Zusammensetzung der Luft über dem Regenwald und stellte fest, wo bereits 30, 40% abgeholzt wurden, setzt der Regenwald CO2 frei, statt zu speichern. Das heißt, er trägt zum Klimawandel bei, statt ihn zu bremsen. "Wir schreiten auf den Klimakollaps unseres Planeten zu, und zwar viel früher als alle Modelle vorhergesagt haben. Wir verändern die Temperatur unserer Erde. Wir holzen hab, wir verlieren die kühlenden Bäume und ersetzen sie durch Rinder- oder Sojaplantagen."

Brennende Bäume in Regenwald
Der Regenwald droht sich zu einer Savanne zu entwickeln | Bild: SWR

Wo massiv gerodet wurde steigt die Hitze, und es regnet bis zu 30% weniger. Dürre, Abholzung und die steigenden Waldbrände. Den Bäumen fehlt zunehmend das Wasser, um selbst Regen zu erzeugen. Der Regenwald droht sich unumkehrbar zu einer Savanne zu entwickeln. "Können wir jetzt mit Gewissheit sagen, dass wir am Kipppunkt stehen? Wir können es nicht. Aber wir müssen unser Bestes geben, um das Ruder rumzureißen, denn es geht um unser Überleben." Die Wissenschaftlerin macht keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung über die menschliche Ignoranz der Fakten: "Wieviele Menschen müssen noch an Extremereignissen sterben, damit wir die Kraft haben zu sagen, wir machen die Dinge falsch und wir müssen die Art und Weise, wie wir auf dem Planeten Leben ändern."

Zurück im Regenwald ist Oseias Cordeiro auf der Jagd. So haben sie bislang gelebt, sie züchten keine Tiere, sie jagen nach Bedarf. "Würden wir ein Hirsch finden, das wäre großartig. Davon könnten viele einige Tage essen." Ein Hirsch wird es nicht werden, die Männer sind schon froh, dass ihr Hund ein Nagetier zur Strecke bringt. Die Jagd sei schwieriger, durch das fehlende Wasser seien viele Tiere fortgezogen. Wovon soll seine Familie in Zukunft gesund leben, fragt sich der 44jährige? "Wenn wir unsere Kinder schnell töten wollen, kaufen wir ihnen so verarbeitete Würstchen – das ist, was es dann gibt." Die Zukunft der Kinder – darum geht es jeder Gesellschaft. Am Abend unterrichtet die Gemeinde ihre Kinder in ihren Traditionen. Sie sollen wissen, wie man den Wald schützt, wie man mit der Natur lebt. Doch werden sie hier noch die Zukunft haben, die sich alle für sie wünschen?

Autorin: Xenia Böttcher, ARD-Studio Rio de Janeiro

Stand: 03.12.2023 21:39 Uhr

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