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Spanien: Wie die Politik das Ende der Krise beschwört

Spanien: Wie die Politik das Ende der Krise beschwört | Bild: Das Erste

Irgendwie gehört es in Spanien schon zum Alltag: ein Protest, eine Demonstration oder wie hier eine Hausbesetzung – 17 Jahre lang stand dieses Gebäude leer.

Wir sind in Madrid, unterwegs mit Aktivisten der Indignados, der Empörten.

Dann geht es schnell – die Mütter gehen mit ihren Kindern in das Haus hinein, und schaffen so Fakten. Natürlich ist diese Besetzung illegal, aber die Aktivisten sagen: wir haben keine andere Wahl.

Isabel Tejero-Novelle
Isabel Tejero-Novelle | Bild: Bild: BR

Isabel Tejero-Novelle, Bewegung der Indignados:

»Viele Leute haben keine Wohnung mehr, denn die Zwangsräumungen gehen weiter. Und der Staat hilft den Menschen, die ein Dach über dem Kopf brauchen, überhaupt nicht.«

Gut vernetzt und organisiert sind die Aktivisten. Für die Presse wird ein Fototermin im besetzten Haus mit den neuen Bewohnern angeboten – fünf alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern sollen hier nun leben. Sie alle sind Opfer der Krise.

Nicht weit entfernt hat Ministerpräsident Rajoy vor spanischen Unternehmern seinen Auftritt und einen ganz anderen Blick auf das Land. Es gehe aufwärts, verkünden er und seine konservative Regierung, die Rezession ist beendet, die Wirtschaft soll in diesem Jahr um 1,2 Prozent wachsen.

Mariano Rajoy, Ministerpräsident Spanien:

»Außerhalb von Spanien sieht man in unserem Land ein Beispiel dafür, wie man die Krise überwinden kann.«

Starke Worte wie aus einer anderen Welt, denn Spanien leidet weiter unter einer horrenden Arbeitslosigkeit: sie liegt bei knapp 26 Prozent.

Treffen in Madrids Viertel Tetuán: Eine Bürger-Plattform plant für die nächste Woche Hilfsaktionen für Bedürftige, denn die staatliche Unterstützung funktioniert nur unzureichend.

Eine Frau gibt Lebensmittel ab
Eine Frau gibt Lebensmittel ab | Bild: Bild: BR

In Tetuán organisiert etwa Isabel zusammen mit anderen eine Lebensmittelbank. Jede Woche sprechen sie vor Supermärkten Kunden an, ob die nicht für Bedürftige zusätzlich Essen einkaufen könnten.

Sie alle hier kennen die Spirale nach unten – in Spanien gibt es zwei Jahre lang Arbeitslosenhilfe, aber danach in der Regel nichts mehr. Und so sind mittlerweile in ganz Spanien knapp 800.000 Haushalte ohne jedes Einkommen.

Isabel Tejero-Novelle, Bewegung der Indignados:

»Das ist die Lage: Es gibt Hunger. Ohne unsere Lebensmittelbank wäre es für viele Leute schwierig, etwas zum Essen zu haben.«

Zwei Welten in einem Land – schleichende Verarmung und großer Optimismus, alles eine Frage des Standpunkts.

An der Börse zeigt die Kurve nach oben, Spaniens Wirtschaft wächst wieder leicht. Auch im Wirtschaftsministerium sieht man das Ende der Krise gekommen. Die hohe Arbeitslosigkeit findet man inakzeptabel, aber rät zu einem langen Atem. Zu den Reformen gebe es keine Alternative – hier weht ein wirtschaftsliberaler Geist.

Luis de Guindos
Luis de Guindos | Bild: Bild: BR

Luis de Guindos, Wirtschaftsminister Spanien:

»Ich bin überzeugt, dass das Schlimmste hinter uns liegt und wir das Schwierigste umgesetzt haben. Wir müssen nun im Geist der Sparanstrengungen bei den öffentlichen Haushalten weitermachen.«

Jeden Samstag werden in einem düsteren Gang die Lebensmittel an Bedürftige in Tetuán verteilt. Alles verschiedene Schicksale, aber eins haben die meisten gemein: sie sind Langzeitarbeitslose und fallen immer mehr aus dem sozialen Netz heraus.

Unter ihnen auch Irene Prior, alleinerziehende Mutter einer siebenjährigen Tochter.

Irene Prior-San Julian
Irene Prior-San Julian | Bild: Bild: BR

Irene Prior-San Julian:

»Von diesen Lebensmitteln können wir beide eine ganze Weile leben, vielleicht ein paar Wochen.«

Bis vor einem Jahr war sie noch Chefsekretärin, dann wurde sie entlassen. Nun ist nichts mehr, wie es einmal war.

Das Kinderzimmer – ihre Tochter sollen wir nicht filmen, darum hat uns Irene gebeten. Hunderte Bewerbungen hat die 35-Jährige geschrieben, ohne Erfolg. Noch erhält sie Arbeitslosengeld, doch damit zahlt sie die Hypothek der Wohnung ab. Irene kämpft jeden Tag um ihre bürgerliche Existenz.

Irene Prior-San Julian:

»Das ist die größte Angst, die ich habe, dass sie mir nämlich meine Tochter wegnehmen könnten, weil ich sie nicht mehr richtig ernähren und mich um sie kümmern kann. Das macht mir Angst.«

Von ihrer Regierung wird sie nicht viel Hilfe erwarten können, die hat den Blick auf das große Ganze gerichtet, die Makroökonomie.

Luis de Guindos, Wirtschaftsminister Spanien:

»Natürlich sollte das Arbeitslosengeld die Grundbedürfnisse abdecken, aber mittelfristig ist das Arbeitslosengeld doch keine Lösung. Die Schaffung von Arbeitsplätzen, das ist fundamental.«

Am nächsten Tag Aufregung bei der Lebensmittelbank von Tetuán – die Polizei hat ohne Vorwarnung das Depot mit allen Nahrungsmitteln versiegelt. Die Anweisung kam von der Stadtverwaltung, der die Räumlichkeiten gehören.

Isabel Tejero-Novelle, Bewegung der Indignados:

»So etwas ist unmenschlich, unanständig, unmoralisch. Man kann doch so etwas nicht in einer Lage machen, in der es an Lebensmitteln fehlt und in der die Arbeitslosigkeit so hoch ist.«

Und so gibt es wieder eine dieser vielen kleinen Demonstrationen, dieses Mal vor dem Rathaus von Tetuán. Symbolisch wird es von den Aktivisten versiegelt. Alltag in Madrid – Spaniens Krise ist längst noch nicht vorbei.

Autor: Stefan Schaaf / ARD Madrid

Stand: 05.05.2014 01:15 Uhr

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