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Griechenland: Deutsche Kriegsverbrechen "Hinter den Bergen"

Griechenland: Deutsche Kriegsverbrechen 'Hinter den Bergen' | Bild: BR

Jeder einzelne Schritt fällt ihr mittlerweile schwer. Ihr Körper - von der harten Arbeit in der Landwirtschaft geschunden. Maria Tzouvara ist 80 Jahre alt. Sie lebt allein, war nie verheiratet. Ihre Verwandten kochen für sie – doch den Abwasch will sie noch wie vor selbst erledigen. Marias Geist ist hellwach. Ihre Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, an die Überfälle auf ihr Dorf, sie sind noch so präsent als hätten sie sich erst gestern ereignet.

Maria Tzouvara:

»Wir hörten die Glocken, das abgesprochene Signal für "Die Deutschen kommen!" Wir liefen los, mein Vater und meine Mutter mit der Wiege mit meinem kleinen Bruder. Und ehe ich mich versehe, schlägt eine Kugel neben mir ein. Es hat nicht viel gefehlt und sie hätten mich gleich dort getötet.«

Maria Tzouvara
Maria Tzouvara | Bild: Bild: BR

Wir sind in Nordgriechenland. "Hinter den Bergen" – so wird die Gegend, in der das Bergdorf Greveniti liegt, genannt. Es wirkt verlassen. Vor dem Zweiten Weltkrieg haben hier über 800 Menschen gelebt. Heute sind es gerade einmal 65. Es ist Sonntag, Zeit für den Gottesdienst. Auch Tasos Theodorikas hat sich auf den Weg in die Kirche gemacht. 13 Jahre war er alt, als die Nazis das Dorf plötzlich überfielen. Seine Mutter war schon einige Jahre vorher gestorben – die zehn Geschwister seitdem ganz auf ihren Vater angewiesen.

Tasos Theodorikas:

»Wir saßen da draußen, so, wie wir jetzt hier sitzen. Und da haben sie meinen Vater ohne zu zögern an Ort und Stelle vor unseren Augen erschossen. Meine kleinste Schwester war erst sieben Monate alt … Entschuldigung! Meine Geschwister waren alle jünger als ich. Sie haben meinen Vater vor unseren Augen erschossen, kaltblütig.«

Tasos Theodorikas
Tasos Theodorikas | Bild: Bild: BR

Die Kinder blieben zurück. Tasos, hier links im Bild, musste sich mit seinen 13 Jahren um seine neun jüngeren Geschwister kümmern, als Vollwaise ganz auf sich allein gestellt. Die Häuser hier, sowie in 21 weiteren Bergdörfern der Gegend: vollständig niedergebrannt. Allein Greveniti wurde innerhalb von zwei Jahren sechs Mal von den Deutschen überfallen. Das Dorf: für die Nazis ein strategisch wichtiges Angriffsziel, weil sich dort ein kleines Hospital befand. Die Einwohner pflegten auch Partisanenkämpfer, die gegen die deutschen Soldaten in den Bergen erbitterten Widerstand leisteten. Die Folge: Brutale Sühneaktionen an Zivilisten.

Für die 25 Opfer haben die Überlebenden vor ein paar Jahren ein Denkmal errichtet. Tasos Voganis besucht den Ort regelmäßig. Nur wenige Meter entfernt konnte er sich als Zehnjähriger vor den Nazis verstecken. Er weiß, es ist nur dem Zufall zu verdanken, dass sein Name nicht auf der Tafel steht.

Tasos Voganis:

»Meine Schwester und ich, wir waren da unten, dort, wo es eben ist, und haben unsere Ziegen weiden lassen. Dann konnten wir beobachten, dass die Deutschen das Dorf überfallen. Der erste Gedanke: "Wo könnten wir uns verstecken?" Wir ließen die Tiere in einer Hütte zurück und schlichen uns nach dort drüben. Am nächsten Tag habe ich versucht, zu unserem Haus zu gelangen, um meine Mutter und meinen Bruder zu suchen. Ich traf dort aber niemanden an. Auf dem Rückweg hat mich dann ein Deutscher gesehen und mir bedeutet, ich solle herkommen. Ich bin aber nicht gekommen. Da hat er die Pistole gezogen und gesagt: "Du kommst jetzt oder ich erschieße dich!" Als ich das gesehen habe, habe ich angefangen, zu weinen, und bin zu ihm gegangen. Ein höherer Offizier hat dann zu dem Soldaten gesagt: "Was willst du denn mit dem? Lass ihn laufen! Lass ihn gehen!" Und der Soldat hat sich umgedreht und gesagt: "Hau ab!"«

Tasos Voganis
Tasos Voganis | Bild: Bild: BR

Tasos kam mit dem Schrecken davon. Und über die Spuren der Verwüstung ist in Greveniti Gras gewachsen. Doch die Willkür mit der die Nazis in dem Dorf gewütet haben, hat verletzte Seelen hinterlassen. Maria wurde als kleines Mädchen unfreiwillig Augenzeugin jenes deutschen Überfalls mit den meisten Opfern.

Maria Tzouvara:

»Meinem Großvater haben sie fünf, sechs Stiche mit dem Bajonett hier in den Kopf verpasst. Und meiner Tante wurde der Bauch aufgeschlitzt. Das Blut floss in Strömen. Und da war noch eine Frau, die sie umgebracht haben und noch eine. Insgesamt waren es sieben. Und ein Mädchen, sieben Monate alt. Sie warfen es in die Luft und spießten es aufs Bajonett. Das drang hier ein und dann da wieder aus. Ihre Mutter hob es auf und nahm es in den Arm und dann haben sie ihm noch einen so heftigen Stich in die Stirn versetzt, dass das Gehirn hinten herauskam.«

Nach den Kriegswirren haben die Menschen versucht, ihre Heimat irgendwie selbst wiederzubeleben. Die aktuellen Reparationsforderungen von griechischer Seite an Deutschland – hier können nicht alle Zeitzeugen etwas damit anfangen.

Tasos Theodorikas:

»Mit Geld kann man den Blutzoll, den wir gezahlt haben, nicht wieder gut machen. Aber ich beschäftige mich nicht solchen Dingen, ich sehe auch nicht fern. Was unsere Regierung auch fordern mag, unsere Wunden können nicht verheilen.«

Maria Tzouvara:

»Wenigstens eine Entschuldigung. Das schadet nichts. Das kostet die Deutschen weder Geld noch sonst etwas. Aber selbst, wenn wir nur eine Kleinigkeit bekommen würden, das wäre schon was, denn sie haben uns ruiniert.«

Tasos Voganis:

»Ich glaube nicht, dass unsere Regierung etwas erreichen wird, weil seitdem fast 72 Jahre vergangen sind. Und nach dem, was ich höre, sagen die Deutschen, das Thema sei vom Tisch. Ich habe neulich auch von Frau Merkel gehört, dass für sie unsere Frage geklärt sei.«

Sonneuntergang im Ort
Sonneuntergang im Ort | Bild: Bild: BR

Greveniti, eines der Dörfer hinter den Bergen. Das Leid der Menschen, es wurde jahrzehntelang vergessen. Eine Aufarbeitung oder gar eine Wiedergutmachung haben nie stattgefunden.

Autorin: Mira Barthelmann, ARD-Athen

Stand: 14.04.2015 17:37 Uhr

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