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Bolivien: Im Bauch des Silberberges

Bolivien: Im Bauch des Silberberges | Bild: ARD

"Cerro Rico",  "Reicher Hügel" wird er von den Einheimischen genannt. Der Hügel am Rande der bolivianischen Stadt Potosí ist eigentlich ein 4.782 Meter hoher Berg. Und reich ist er längst nicht mehr. Einst hat der die spanischen Kolonialherren mit viel Silber versorgt, später große Minenunternehmen. Heute ist der Berg weitgehend ausgeplündert. Der Cerro Rico ist von über 5.000 Stollen durchzogen. Viele einsturzgefährdet. Aber noch immer graben Mineros nach Silber und anderen Erzen.

Ein paar Autostunden weiter liegt ein riesiger Salzsee, aus dem Lithium gewonnen wird. Hier zeigt Bolivien ein anderes Gesicht. Das Land will sich nicht mehr ausplündern lassen. Der Rohstoff, der u.a. für Batterien benötigt wird, soll staatlich gefördert werden und der Reichtum zur Entwicklung des ganzen Landes eingesetzt werden. Weltspiegel-Reporter Matthias Ebert über die alte und moderne Welt bolivianischer Minenarbeiter.

Jeden Freitag eine Opfergabe

Minenarbeiter ziehen Güterlore ins Bergwerk
Seit Jahrhunderten wird nach Silber und anderen Erzen gegraben. | Bild: SWR

Eine Tüte Coca-Blätter, dazu Zigaretten – so beginnt der Tag am Minenkiosk. Es ist morgens um zehn – die Kumpel vom Cerro Rico bringen sich auf Betriebstemperatur. Im Angebot: Alles, was das Herz der Mineros erwärmt. Für Gustavo Mendez die erste Station des Tages. Oben herrscht längst Betrieb, am Stollen der Minen-Genossenschaft "Caracoles". Uns verwundern zwei Lamas, die vorm Eingang stehen, seelenruhig. Drinnen brennt die Luft beim Atmen. Die Schächte: schwül-warm und erfüllt mit giftigen Staub. Heute ist Freitag, Tag der Opfergabe. Das erste Opfer für Jesus am Kreuz. "Gott, beschütze uns vor allem Bösen", spricht der Bergarbeiter Gustavo Mendez. "Bis hierher hast Du, Herrgott, uns begleitet. Ab jetzt kann uns nur noch der Tio, der Teufel beschützen. Keiner kennt unser Schicksal. Prost Männer!"

Minenarbeiter
10.000 Bergleute graben sich täglich durch den Berg | Bild: SWR

Purer Alkohol, und Zigaretten sind die Gaben, mit denen die Kumpel die Götter des Berges gnädig stimmen wollen. In den Eingeweiden des Cerro Rico schuften 10.000 Arbeiter gleichzeitig, graben täglich neue Gänge in den porösen Berg. Jeder hier ist Mitglied einer Genossenschaft. Der größte Teil der Einnahmen geht in die eigene Tasche. Steuern zahlen sie kaum, die Bergarbeiter gelten als Rebellen. Am Ende entscheidet Einer über Wohl oder Wehe tief drinnen im Stollen: der teuflische Tío, der Schutzpatron der Mineros vom Cerro Rico.

Der Preis für Metalle schwankt

"Manchmal steigt der Preis für Metalle", erklärt der Minenarbeiter Alejandro Limachi. "Dann sinkt er wieder. Gerade ist der Preis extrem tief. Deshalb reicht es für uns nicht aus. Manchmal noch mal für die Familie für das tägliche Brot." Heute finden sie kaum mehr Silber im Cerro Rico. Nur noch Zinn und Eisenerz. Die Preise dafür fallen seit Jahren. Vor fast 500 Jahren begann die Ausbeutung des Cerro Rico durch die spanischen Eroberer. Das Silber verschifften sie von hier nach Europa. Ein Ausverkauf der bolivianischen Bodenschätze.

Die Hoffnungen ruhen auf dem Lithium

Zwei Männer in Schutzkleidung im Salzsee
Unter der Salzkruste verbirgt sich der Stoff, von dem sich Bolivien viel erhofft: Lithium. | Bild: SWR

Das soll sich hier nicht wiederholen. Am Salzsee von Uyuni. Eine Fläche vier Mal so groß wie das Saarland. Die Flüssigkeit unter der Salzkruste enthält DEN Stoff für die Produktion von leichten Batterien. In dieser Anlage verdunstet Salzwasser. Übrig bleibt Lithium. Ein Leichtmetall, mit dem Bolivien seine Industrialisierung vorantreiben will. "Wie halten unseren Plan für richtig: Wir verarbeiten unsere bolivianischen Bodenschätze selbst – zum Wohle von uns Bolivianern", sagt Marcelo Castro, der Leiter der Lithiumprouktion. "Wir wollen Techniken entwickeln, um Kalium und vor allem Lithium effektiver abbauen zu können. Wir haben ja hier die größten Lithiumreserven der Erde – aber im Unterschied zum Cerro Rico früher, wollen wir die jetzt nutzen für die Verbesserung der Lebensbedingungen des bolivianischen Volkes."

Kooperation mit Europa oder China

Mitarbeiter in Batteriefabrik
Batterieproduktion im eigenen Land, ein Pilotprojekt.  | Bild: SWR

Noch steht Bolivien am Anfang der Industrialisierung. Dem Land fehlt moderne Technik zum Lithium-Abbau. Ausländische Investoren und Know-how werden gebraucht – auch in Boliviens einziger Batteriefabrik. Mit Hilfe aus China läuft hier die erste bolivianische Batterieproduktion. Ein Pilotprojekt. Das Lithiumgemisch wird auf eine Kupferfolie gegossen, erhitzt und am Ende aufgewickelt. Die Grundlage für Batterien. "Wenn wir die Batterie-Entwicklung auch zukünftig vor allem alleine vorantreiben, brauchen wir noch 30 Jahre für die Industrialisierung", so die Einschätzung von Victor Ramirez, Leiter der Batteriefabrik in Potosí. "Wir wollen deshalb eine faire Industrie-Kooperation mit Europa oder China, damit dieser Prozess schneller geht und sich unser Land entwickelt."

Boliviens Zukunft könnte in der Elektromobilität liegen, während der Cerro Rico wie ein Mahnmal der Vergangenheit wirkt. Heute feiert die Genossenschaft "Caracoles" ihren 34. Geburtstag. Dafür werden die beiden Lamas geopfert. Ihr Blut soll den Kumpel Glück bringen. Der Eingang ihres Stollens zeigt: Sie bitten häufig um Glück. Bevor die Organe der Lamas irgendwann am Abend vergraben werden, segnen die Mineros sie mit Bier. Ein jahrhundertealter Opferritus für Pacha Mama, Mutter Natur. Lama Blut anstelle des Blutes der Mineros. "Wir werden in Zukunft noch größer werden", so der Chef der Mine Caracoles." Unsere Träume werden eines Tages wahr." Träume haben sie hier alle. Aber alle Mineros wissen auch: Es kann jeden Tag passieren, dass sie der alte Stollen nicht mehr ausspuckt.

Stand: 20.07.2015 15:42 Uhr

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