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Äthiopien: Vergewaltigung und Hunger als Kriegswaffe

Äthiopien: Vergewaltigung und Hunger als Kriegswaffe | Bild: picture alliance/dpa/AP | Ben Curtis

Fernsehteams gelangen nicht häufig in die Region Tigray, seit der Bürgerkrieg dort tobt. Norbert Hahn ist mit seinem Team eine Woche lang in der Krisenregion unterwegs gewesen. Seine Eindrücke schildert er in einer Reportage aus der umkämpften Region im Norden Äthiopiens. Über Jahrzehnte bestimmten Politiker aus der kleinen Region Tigray über ganz Äthiopien. Oft unterdrückten sie die Interessen der anderen Ethnien des Vielvölkerstaats.

Der aktuelle Präsident stammt überraschend aus einer anderen Region. Kurz standen die Zeichen auf Aussöhnung, im November 2020 eskalierten dann die Gegensätze. Seitdem kämpfen äthiopische Armee und die Befreiungsarmee von Tigray gegeneinander. Die Hauptlast des Krieges trägt – wie immer – die Zivilbevölkerung.

Der Weltspiegel Podcast "Äthiopien – Vergewaltigung und Hunger als Kriegswaffe" in der ARD Audiothek und allen gängigen Audio-Plattformen.

Flüchtlinge kämpfen ums Überleben

Mutter mit kleinem Kind
In Tigrays Hauptstadt Mekelle drängen sich die Flüchtlinge | Bild: SWR

Wir sind unterwegs durch Tigray, durch eine Region im Krieg. Überall begegnen wir Militär. Tigrays Hauptstadt Mekelle. Endstation für viele Flüchtlinge ist erstmal diese Schule. Vor den Kämpfen sind sie geflohen, aber hier geht der Kampf ums Überleben für die Flüchtlinge weiter. Von Hilfsorganisationen sehen wir nur wenig. Aber wir lernen Abeba Berhane kennen. Sie hat Injeera gebacken, das äthiopische Brot. "Ich bin hier zum ersten Mal aber in anderen Lagern war ich schon. Auch wir suchen nach Angehörigen, wir wissen nicht ob sie noch leben. Wir können nicht zu meinem Schwiegervater, meiner Schwägerin und meinem Cousin. "Flüchtlinge dichtgedrängt. Eine schwierige Lage, vor allem für Frauen und Kinder. Wie Hiyab. Als wir das Lager besuchen, ist Hiyab gerade einen Tag alt – und schon ein Flüchtlingsschicksal. "Es wäre schön gewesen, hätte ich zu Hause entbinden können" sagt Hiyabs Mutter Milat Kelal. "Aber besser hier als irgendwo auf dem Feld."

Auf Boden gemalte Zahlen an Ort eines Massakers
Hier sollen eritreische Soldaten ein Massaker verübt haben | Bild: SWR

Wir fahren weiter, Richtung Westen. Die Hauptverbindungstraße ist gerade erst wieder geöffnet worden. Überall: Checkpoints der äthiopischen Armee und der mit ihnen verbündeten Eritreer. Der gemeinsame Gegner: das sind die Guerilla-Kämpfer der Volksbefreiungsfront von Tigray. Die haben sich in die Berge zurückgezogen, und meiden die Städte. Einige Checkpoints später: Axum – die heilige Stadt der äthiopischen orthodoxen Christen. Auf den ersten Blick zeugt nur die Schlange vor den Geldautomaten von Problemen. Doch vor einem Jahr war die Stadt Schauplatz eines Massakers, eritreische Soldaten sollen hunderte Menschen abgeschlachtet haben. Wer die Opfer waren, ist umstritten: Menschenrechtler sprechen von Zivilisten, die Regierungsjustiz behauptet: es seien Kämpfer gewesen. Jede Nummer steht für bis zu fünf Tote, erzählen sie uns hier.

Überall im Land: Zerstörung, Plünderung und Mord

Wir sprechen mit einem Angehörigen, der seinen Bruder verloren hat. Er hat Angst vor Repressionen, deshalb will er nicht erkannt werden. "Er war nicht der einzige. In jedem Haus haben sie Leute getötet. Ihn haben sie auf dem Heimweg umgebracht. Er hat ihnen nichts getan. Sie haben all die Zivilisten getötet als Vergeltung für die Kämpfe." Wir gehen zu dem Ort, an dem der Bruder starb – nahe der berühmten Obelisken von Aksum. "Er wurde ermordet, auf freiem Feld. Und dann brachten sie seinen Leichnam auf einem Karren. Wir werden das nie vergessen, es hat sich tief in unsere Seele eingegraben. Er starb, ohne Trost zu bekommen." Aksum – Eine Stadt in Trauer.

Zerstörtes Auto am Straßenrand
Überall sind die Spuren die Krieges zu sehen  | Bild: SWR

Wir fahren zurück, vorbei an den Spuren des Krieges. In der zweitgrößten Stadt der Region, in Adigrat: eritreische Soldaten werden an eine neue Front verlegt. Eigentlich sollten sie abgezogen werden, doch ohne sie läuft nichts. Wir können hier nur verdeckt filmen – vor den eritreischen Soldaten haben hier alle Angst. Bauern wird verboten, ihre Felder zu bestellen. Wenn das Land hungert, dann hungert auch die Guerilla – das scheint die Logik dahinter zu sein.

Immer mehr Gewalt gegen Frauen

Frau bei Interview
Immer mehr Frauen berichten von Vergewaltigungen  | Bild: SWR

Zurück in der Provinzhauptstadt Mekelle: Im Universitäts-Krankenhaus bleiben Verwundete mit Blutungen und Schusswunden an der Tagesordnung. Auch die Vergewaltigungen werden nicht weniger. Eine Krankenschwester erzählt uns, in den vergangenen vier Monaten hätten sie in ihrer kleinen Station 126 Fälle gehabt. Inzwischen seien es drei bis vier pro Tag, und es werden immer mehr, Tendenz steigend. Eine Frau erzählt uns, sie sei am Vortag von einem äthiopischen Soldaten missbraucht worden. Sie möchte anonym bleiben – wie das Personal auch. Alle haben Angst. "Er drückte mir ein Messer auf die Brust und sagte: Wenn Du es jemandem sagst, bring ich dich um. Ich fragte ihn: Warum tust Du das? Er sagte: wir haben Befehl, alle männlichen Tigrayer über sieben Jahre zu töten und alle weiblichen über acht zu vergewaltigen." Solche Schilderungen gibt es zuhauf. Gewalt, die ein Volk erniedrigen soll. Doch manchmal auch das Gegenteil erreicht. "Ich will mich den Kämpfern anschließen. Wenn ich still bleibe, könnte das auch meinen Schwestern passieren. Ich fühle mich stolz, ich werde niemals aufgeben."

Autor: Norbert Hahn, ARD-Studio Nairobi

Stand: 16.05.2021 22:00 Uhr

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