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Ägypten: Revolution der Rollschuhfahrer

Ägypten: Revolution der Rollschuhfahrer  | Bild: ARD

Wer auf Rollen quer durch Kairo gleitet, findet sein Glück im Schwebezustand – irgendwo zwischen Raum und Zeit hat sich hier, mitten im traditionsbewussten Ägypten, eine ganz neue Bewegung aufgetan. "Hier bei uns, da finden sich Gleichgesinnte – Menschen, die sehen, dass es da noch andere gibt, die so sind wie sie selbst. Wir sind Menschen, die, wenn man das so sagen kann, alle das gleiche Level an Verrücktheit mitbringen", sagt Inline-Skater Kareem Abd El Aziz.

Ägypten: Auch viele junge Frauen schließen sich der Bewegung an, sie suchen Freiheit.
Ägypten: Auch viele junge Frauen schließen sich der Bewegung an, sie suchen Freiheit. | Bild: WDR

Die ein oder andere Schraube locker haben. Keine Frage, das hilft beim Inline-Skaten in Ägypten. Sie treffen sich, um dann gemeinsam zu "cruisen", wie sie sagen. Heute ist Freitag, Gebetstag, da ist auf den Straßen ausnahmsweise wenig los. Das macht es einfacher für Kareem, der hier alles koordiniert: "Ich versuche die Gruppe irgendwie zusammenzuhalten. Wir konzentrieren uns auf die Straße, aber schau dir an, wieviele wir sind, ich fühle mich verantwortlich für meine Leute. Ja, da ist schon was."

Was auffällt: Es sind auch viele junge Frauen dabei. Ob mit Kopftuch oder ohne, egal. Hauptsache, es dreht sich auf der Straße. Wir sprechen mit Dina, sie skatet seitdem sie 13 ist. Eben hing sie noch an unserem Auto. Seit Corona, sagt sie, habe das Land eine regelrechte Rollschuh-Welle erfasst: "Es mag sich wie ein Klischee anhören, aber es geht um Freiheit. Wir nehmen Risiken in Kauf, um Spaß zu haben."

 Kairo braucht eine Verkehrswende

Freiheit, Spaß und Risikobereitschaft als neues Lebensgefühl – im autoritär regierten Ägypten: durchaus bemerkenswert. Nein, so richtig politisch ist sie nicht die Skaterszene und doch hat sie etwas revolutionäres. Weniger wegen der vielen bunten Videos im Internet. Eher wegen der Botschaft dahinter. "Wir brauchen hier weniger Autos. Viel weniger. Es reicht auch nicht wegen der Umwelt auf Elektor-Autos umzusteigen. Nein, weniger Autos. Kairo, eigentlich ganz Ägypten, aber vor allem Kairo, ist viel zu voll mit Autos", sagt Kareem.

Ägypten: In ihrer Facebook-Gruppe haben die jungen Inlinefreaks schon eine halbe Million Follower:innen.
Ägypten: In ihrer Facebook-Gruppe haben die jungen Inlinefreaks schon eine halbe Million Follower:innen. | Bild: WDR

Er hat Recht. Eine 20-Millionen-Metropole mit immer wiederkehrendem Straßeninfarkt. Die größte Stadt Afrikas, sie erstickt an Abgasen, leidet unter chronischer Verkehrsader-Verstopfung. Hier bei der Beraterfirma "Transport for Cairo" schauen sie sich die belasteten Arterien genauer an, machen sich Gedanken wie man es besser machen könnte. "Pendler müssen die Nutzung von Privatautos reduzieren, überhaupt weniger auf Motorisierung setzen, bei kurzen Wegen selbst aktiv werden. Das würde helfen. Man muss es nur angehen", erklärt Abdelrahman Melegy.

Es ist nicht so, dass Regierung und Behörden nichts tun würden. Das U-Bahn-Netz etwa wird ausgebaut. Und doch, es ist zu wenig. Mehr Fahrrad müssten die Leute fahren, wird auf Werbeevents wie diesem geworben. Und ja, es gibt ein paar neue Radwege. Das Problem: Niemand nutzt sie, auch weil sie meistens irgendwann wieder auf viel zu befahrenen Straßen enden. "Es ist, als müsste sich die Gesellschaft mit ihrer Infrasturktur erst wieder an das alles gewöhnen. Fahrräder zum Beispiel gibt’s doch schon immer – aber die Infrastruktur ist nicht da, und die Sicherheit auch nicht", sagt der Verkehrsplaner von "Transport for Cairo".

Rollschuhe – ein Lebensgefühl

Zurück bei Inline-Skater Kareem. Fahrradfahren sei ok, aber die Rollschuhe das einzig Wahre. Viel mehr als ein Hobby, sondern echtes Fortbewegungsmittel. "Es ist einfach besser als U-Bahn oder Auto zu fahren. Gut für die Umwelt, hab ich ja schon gesagt. Aber ich bin tatsächlich auch schneller. Ja klar, es ist gefährlich – aber ich mach das ja schon seit Jahren", erzählt er. Und dann geht’s wieder los – rein in den Wahnsinn. "Wenn ich an der Uni eine Prüfung schreibe ist mein Kopf zu 100 Prozent aktiviert. Wenn man in Kairo skatet, 6000, 7000 Prozent Gehirnaktivität . Ich muss alles was um mich herum passiert, aufnehmen. Jedes Autos, jede Bodenwelle. Alles um mich herum muss ich auf dem Schirm haben", erklärt Kareem.

Treffen mit Kumpel Mohamed. Die beiden studieren Wirtschaft an der Universität Kairo, haben große berufliche Pläne – gerade auch was das Rollschuh-Geschäft betrifft. Ja, da müsste doch irgendwas möglich sein. "Es ist mein Traum, einen Skating-Laden aufzumachen. Die Leute kommen zu uns, probieren die Skates an, das würden den ganzen Spor aufleben lassen. Man müsste nicht mehr im Internet bestellen und Monate warten. Nein, einfach zu mir kommen, kaufen und kennenlernen."

Und so soll am Ende unbedingt auch noch der Reporter das rollende Lebensgefühl Ägyptens erfahren. Etwas wacklig, aber es gleitet sich gar nicht mal so schlecht. Weg von der Nil-Promenade, rein in den wilden Verkehr Kairos geht’s aber erst beim nächsten Mal.

Autor: Simon Riesche / ARD Studio Kairo

Stand: 05.03.2023 18:34 Uhr

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