So., 11.02.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Israel: Militante Siedler werden Militär-Reservisten
Ein ungutes Gefühl kommt auf, als wir uns dem Checkpoint in Hebron nähern. Wir wollen hier durch. Wissen aber auch, dass das ein Problem werden könnte. Ich gehe als Erste. Schon vor dem 7. Oktober kam es hier in Hebron für Anwohner und Besucher zu Schikanen durch israelische Soldaten. Jetzt seien diese noch schlimmer geworden, berichtet auch der Menschenrechtsaktivisten Issa Amro, den wir besuchen wollen. Ich werde durchgelassen. Als nächstes versucht es mein palästinensischer Kameramann. Wir warten.
Warum wir innerhalb einer palästinensischen Stadt durch einen israelischen Checkpoint müssen? Der Mann den wir treffen wollen, wohnt in H2, Hebron 2. Dem Teil Hebrons, in dem auch israelische Siedler wohnen und der unter israelischer Kontrolle liegt. Die Soldaten sind laut israelischen Aussagen hier, um die Siedler vor palästinensischen Angriffen zu schützen. Mein Kameramann darf nicht durch. Also komme ich wieder zurück und will wissen warum:
Soldat: Du bist von der Presse.
Reporterin: Aber das ist mein Team.
Soldat: Es ist zu.
Reporterin: Warum ist es zu?
Soldat: Wegen des Krieges.
Wir versuchen es bei einem anderen Checkpoint. Issa wartet schon auf uns. Er schätzt unsere Chancen nicht besonders hoch ein, dass wir durchgelassen werden. Und selbst wenn: "Es sind noch drei weitere Militärposten bis zu meinem Haus", sagt Issa Amro.
Restriktionen massiv verschärft
Nach dem 7. Oktober wurden die Restriktionen hier massiv verschärft. Zwei Wochen lang durften Palästinenser nicht aus ihren Häusern raus. Zwei Wochen mussten die Familien ohne frische Lebensmittel, Apotheken und Müllabfuhr auskommen. Mittlerweile hat das Militär die Checkpoints wieder geöffnet — allerdings nicht immer. Nach 20 Minuten Überprüfung dürfen wir rein. Wir gehen am nächsten Posten vorbei. "Jeder Soldat hat seine eigene Meinung. Manchmal werde ich an drei Checkpoints gestoppt", erzählt Issa Amro.
Sein Haus liegt eigentlich keine fünf Gehminuten entfernt. Aber diese Straße, ist für ihn gesperrt. Nur die Siedler dürfen sie benutzen, sogar mit Autos. Palästinenser dürfen in Hebron 2 keine Autos fahren. Wir müssen einen Umweg machen und kommen an der Rückseite seines Hauses an. Issa erzählt: "Meine Tür ist kugelsicher. Gegen Schüsse. Das ist mein Fenster. Ich habe Zementblöcke aufgestellt, um mich zu schützen, wenn ich schlafe. Weil es ist sehr gefährlich. Sie haben viele Palästinenser bei sich zuhause erschossen."
Issa hört Geräusche von nebenan. Wir alle bemerken, wie angespannt er ist. "Meine Nachbarn sind israelische Siedler, die mich am 7. Oktober davon abgehalten haben zu meinem Haus zu kommen. Sie waren in Uniformen. Siedler in Armee-Uniformen. Viele davon meine Nachbarn die mich gut kennen."
Vorwurf: Siedler missbrauchen ihre Macht
Immer mehr Siedler gehen in den letzten Monaten uniformiert gegen Palästinenser vor. Einige von ihnen wurden als Reservisten eingezogen, benutzen ihre militärische Autorität um ihre ideologischen Ansichten gegenüber ihren Nachbarn gewaltsam durchsetzen. Missbrauchen ihre Macht. "Ich wurde für zehn Stunden gekidnappt, gefoltert, sexuell erniedrigt, sie haben gedroht mich zu töten. Ich wurde gefesselt. Die Kabelbinder waren so eng, dass sie in meine Haut eingeschnitten haben", erzählt Issa. Immer wieder brechen Soldaten danach bei Issa ein. Festgehalten hat er das auf seinen Überwachungskameras. Deshalb hat er seit einigen Wochen sein komplettes Grundstück eingezäunt. Er hat das Gefühl, dass nur er selbst sich schützen kann: "Glaubst du, sie werden israelische Soldaten dafür verantwortlich machen, dass ich für mehr als zehn Stunden gefoltert wurde. Nein. Es gibt keine Rechenschaft. Aber ich werde sie verklagen." Und Issa hat sie verklagt, wartet aber seit Wochen auf Antwort. Die israelische Armee schreibt uns, dass sie die Vorfälle prüft.
Issa gibt Hoffnung auf friedliche Lösung nicht auf
Issa glaubt weiterhin an friedlichen Widerstand gegen die Besatzung. Er organsiert gerade eine Kampagne, um Familien in seinem Stadtviertel Zugang zu Essen zu verschaffen. Und er dokumentiert fast täglich neue Vorfälle. Schon wieder kommt ein Anruf: "Sie haben einen alten Mann verhaftet. Und erniedrigen ihn", sagt Issa. Wir machen uns auf den Weg und kommen zu der Straße, die nur die Siedler benutzen dürfen.
Issa trifft Bassam Abu Aisha. Den Mann der festgehalten wurde. Sie haben ihn gehen lassen. Issa will wissen, was passiert ist, klärt den Mann über seine Rechte auf. Abu Aisha sagt, er wurde ohne Grund festgehalten. Aus Schikane. Überprüfen können wir das nicht. Ein Video von vor ein paar Wochen zeigt Abu Aisha allerdings in einer ähnlichen Situation. Er wehrt sich gegen die Anweisungen eines Siedlers, der als Reservist eingezogen wurde:
Bassam Abu Aisha: Ich kenn dich. Du bist kein Soldat! Du bist kein Soldat.
Soldat: Halt deinen Mund!
Bassam Abu Aisha: Du bist kein Soldat!
Als Begründung, warum Siedler als Reservisten eingezogen werden, schreibt uns die Pressabteilung der israelischen Armee: "Mit dem Ausbruch des Krieges wurden Tausende ehemalige Reservisten gefragt, wieder in den Reservedienst zu treten. Die Armee hat ein verkürztes Prüfungsverfahren für jeden Einzelfall und Wiedereinstellungsentscheidungen werden unter Berücksichtigung aller relevanter Faktoren zu jedem individuellem Fall getroffen."
Bassam Abu Aisha sagt: "Gaza ist explodiert, was zu diesem Krieg geführt hat. Sie sperren uns hier ein, ähnlich wie die Leute in Gaza eingesperrt sind. Sie üben immer mehr Druck auf uns aus. Bald werden wir auch hier wie in Gaza explodieren."
Issa fürchtet, dass die Geduld der Menschen hier bald enden könnte. Er will aber nicht aufhören an eine friedliche Lösung zu glauben. Auch wenn es schwerfällt.
Autorin: Hanna Resch, ARD-Studio Tel Aviv
Stand: 11.02.2024 20:03 Uhr
Kommentare