So., 25.02.24 | 18:30 Uhr
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Irland: Rechte Gewalt in Europas Vorzeigeland
Im kleinen Örtchen Fermoy steht etwas, was da eigentlich nicht hingehört, so halb auf der Straße. Eine Gruppe aus dem Ort hat hier ihr Protest-Camp eingerichtet. Im Haus dahinter sollen demnächst Asylsuchende einziehen. Seit drei Monaten stehen, sitzen und schlafen sie hier. Tag und Nacht in wechselnden Schichten. "Ich habe das Gefühl unser Ort ist voll. Wir haben schon drei Unterkünfte", sagt Annette Cahill. Und Justyna Wisniewska fügt hinzu: "Niemand weiß, wer diese Leute sind. Das macht uns Angst."
Die Stimmung hier findet sich landauf, landab. Laura Boyle organisiert das Camp, schaut alle paar Stunden vorbei. Ihr Protest richtet sich auch gegen die 100.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Irland. Gemeinsam haben sie sich eingeschworen, gegen alle Fremden, die zuziehen. "Es überfordert die Menschen und ihre Gemeinden. Das zu bestreiten, ist wie zu behaupten, man hätte keine Nase. Es ist so offensichtlich", sagt Boyle.
Irische Wirtschaft boomt – Vorbehalte gegen Fremde nimmt zu
Neue Töne in einem Land, das Migrantinnen und Migraten bisher mit offenen Armen empfangen hat. In Fermoy wohnen Flüchtlinge in angemieteten Wohnhäusern, die Ukrainer in Hotelzimmern gleich die Straße runter. Nun sei ein Gerangel in der Gemeinde entstanden. "Mein Neffe ist auf Warteplatz 80 für die Schule, Freunde stehen auch so weit hinten. Es gibt keine Garantie mehr auf einen Schulplatz", erzählt Niamh Jones. Und Laura Boyle sagt: Unsere Ärzte können die ganzen Menschen gar nicht mehr behandeln. Und jetzt haben wir einen Wettbewerb der dazu führt, dass man ein krankes Kind hat, aber nicht sicher sein kann, ob es einen Termin gibt."
Zur Gruppe am Zelt gesellen sich auch immer wieder Leute aus der ultrarechten Szene. Irland sei voll, sagt Derek Blighe von der Partei Ireland First. Das richtet sich auch gegen die 700.000 Zugezogenen aus Europa oder Amerika. "Große Konzerne holen ihre Arbeitskräfte hauptsächlich aus dem Ausland. Und nicht von hier. Die Leute die zum Arbeiten herkommen, sind weit mehr und verursachen größere Probleme."
In Dublin haben sich viele große Unternehmen mit ihrer Europazentrale niedergelassen. Wer hier arbeitet, muss hier auch wohnen. Moderne, teure Wohnhäuser verdrängen die alten, bezahlbaren. Für Berry Cannon von der Maynooth Universität stoße man hier an die Wurzel der Proteste, der Grund warum immer mehr Iren nach rechts driften: "Man hört ja oft bei den Protestlern den Spruch: 'Irland ist voll.' Es ist ihre Schlussfolgerung auf unserer Wohnungnot. Es gibt keine Wohnungen. Die Mieten sind mittlerweile überall astronomisch. Und die Hauspreise gehen auch durch die Decke."
Die irische Wirtschaft boomt. Sie wächst schneller als die meisten anderen in Europa. Und gleichzeitig steigen die Vorbehalte gegen Fremde. "Die Elite profitiert von Einwanderung. In den Arbeitervierteln und auf dem Land kommt vom Boom nichts an. Da müsste auch investiert werden, damit es keinen Mangel gibt, auf den sich die Rechten so gerne beziehen", sagt Cannon.
Einen Steinwurf entfernt, in einem Arbeiterviertel, hat vor wenigen Wochen ein Pub gebrannt. Nachdem es hieß, hier kämen Flüchtlinge unter. Brandanschläge gab es zuletzt einige, auf noch unbewohnte Unterkünfte. Auch hier in Galway. Kurz davor protestierten Anwohner gegen Migrantinnen und Migranten. Der Gemeinderat Noel Thomas von der liberal-konservativen Regierungspartei verurteilt den Anschlag nur ein bisschen: "Den größten Fehler den meine Regierung macht. Sie haben die Fluttore für Migranten geöffnet. Niemand sollte Gebäude anzünden. Aber unsere Politik drängt die Leute in die Ecke, sie erzeugen die Angst in den Gemeinden. Und das führt zu solchen Aktionen."
Demo gegen Einwanderung – Ultrarechte marschieren mit
Über Jahrhunderte haben die Iren ihre Offenheit für Fremde mit einem Spruch gefeiert. Jeder sei Hundertausend Mal willkommen. In Galway protestieren sie mittlerweile jeden Tag gegen eine leere Flüchtlingsunterkunft. Das spaltet die Nachbarschaft. Aber wenn sie als rassistisch oder ausländerfeindlich bezeichnet werden, finden sie das empörend: "Meine Tochter heiratet einen Muslim. Und ich freue mich ihn in die Familie aufzunehmen. Mir geht es darum, dass die Politik eine andere sein muss", sagt eine Frau. Eine andere erklärt: "Wir haben nicht genug Platz im Ort. Und sie bringen noch mehr hierher." Noel Martin vom Gemeinderat Galway Fianna Fáil sagt zu den beiden Frauen: "Ich bewundere Euch. Es ist nicht einfach, das zu sagen, ohne gleich gebrandmarkt zu werden."
Nun soll nicht der Eindruck entstehen, die irische Gastfreundschaft sei völlig verschwunden. Überall auf der Insel laufen Iren gemeinsam mit Migrantinnen und Migranten. Als Zeichen der alten Offenheit. Gedacht als Gegenbewegung. Denn Irland rückt nach rechts. Laut Umfragen spricht sich seit Kurzem eine Mehrheit für weniger Fremde im Land aus. "Ich finde es schwer zu ertragen, dass dies das Umfeld ist, in dem meine Kinder aufwachsen. Menschen die Angst und Hass schüren. Das macht mir Sorgen", sagt Blathnaid Quinn vom Projekt "Läufer für Schutzsuchende".
Zu einer Demo in Dublin gegen Einwanderung kommen Menschen aus allen Ecken des Landes. Ultrarechte marschieren mit. Seite an Seite auch mit den Protestlern aus Fermoy: "Ich mag nicht jeden hier um mich herum. Aber ich muss mit ihnen laufen, weil wir einen gemeinsamen Feind haben", erklärt Laura Boyle. Die liberale Regierung in Irland reagiert bereits auf die Proteste. Ukrainerinnen und Ukrainer bekommen weniger Sozialleistungen. Manchen Asylsuchenden bietet sie in Dublin keine Unterkunft mehr an. Im Wahljahr lässt sich mit Gastfreundschaft nicht punkten.
Autor: Sven Lohmann, ARD-Studio London
Stand: 25.02.2024 20:39 Uhr
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