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Afghanistan: Aufgeben ist keine Option

Afghanistan: Aufgeben ist keine Option  | Bild: NDR

Für Gaisu Yari ist das Fitness-Studio ihr Mittel gegen den Stress. Fast täglich gibt es Anschläge in ihrer Heimatstadt Kabul. Der Ausnahmezustand ist für sie Normalität. Und die 31-Jährige muss laufen, auch weil sie Energie auftanken will. Sie arbeitet für die afghanische Regierung, als Kommisarin für administrative Reformen und öffentliche Verwaltung. Eine Frau in einer Top-Position in einer muslimischen und männerdominierten Gesellschaft. Da sei viel toxische Energie unterwegs, sagt sie. Und die schwitzt sie hier wieder aus: "In einer Konfliktzone zu leben ist wirklich ein Kampf auf unterschiedlichste Weise. Wenn starke Frauen und Frauen in Führungspositionen nicht auf sich aufpassen – nichts für ihre mentale und physische Fitness tun – halten sie es nicht durch zu führen, ihre Arbeit zu machen und ihr Leben zu managen."         

Gaisu Yari leitet ein Männerteam. Ihre Kommission soll Reformen im öffentlichen Dienst voranbringen. Das Team geht Beschwerden nach. Es geht um die Besetzung von Positionen und eine langsame Verwaltung. Vetternwirtschaft und Korruption sind zwei große Probleme der afghanischen Behörden. Die Regierung will das ändern. "Ich denke schon manchmal, dass ich immer erst als Frau beurteilt werde. Ich bin schon sehr klar in meinen Aussagen, versuche aber auch beide Seiten zu verstehen. Mitunter kommen meine klaren Worte aber nicht gut in der Kommission an", erzählt Gaisu Yari.           

Gaisu Yari führt ein ungewöhnliches Leben: Unverheiratet lebt sie mit Nichten und Neffen. Sie war einem Mann versprochen, der sich den Taliban angeschlossen hatte. Doch sie entkam in die USA. Viele Männer ihrer Familie wurden ermordet, ihr Bruder hat überlebt. Gaisu Yari hat in den USA studiert und ist zurückgekommen. Sie gehört zu den neuen gebildeten jungen Frauen, die sich ihre Rechte nicht mehr nehmen lassen wollen. Darüber würde sie sogar mit den Taliban verhandeln, wenn die doch wieder mehr Macht bekämen.

Tania Noori: Restaurantbesitzerin und Studentin

Eine Frau im Interview.
Tania Noori führt hier ein Restaurant. | Bild: NDR

200 Kilometer von Kabul entfernt in der Provinz ist das Leben für Frauen ungleich schwieriger. Tania Noori führt hier ein Restaurant. Ein Schutzraum für Frauen. Auch Tania Noori gehört zur jungen Frauen-Generation, die nie wieder zu Hause eingesperrt werden will: "Unter dem Taliban-Regime wurden für die Mädchen die Schulen geschlossen. An Universitäten konnten Frauen nicht studieren. Frauen konnten nicht allein das Haus verlassen, nur in Begleitung ihres Ehemannes. Jede musste eine Burka überziehen. Nicht einmal Sandalen durften wir tragen."          

Wenn Tania Noori nicht in ihrer Restaurant-Küche steht, studiert sie nebenbei Zahnmedizin. Ein gewaltiges Pensum. Doch das macht ihr nichts aus. Bildung, ein eigenes Restaurant – das war nicht der Plan ihrer Familie für die junge Frau. Allein ihr Mann hat sie unterstützt. "Ich will einfach ein Beispiel für andere Frauen sein und sie ermutigen. Sie sollen verstehen, dass Frauen auf eigenen Füßen stehen können." So arbeiten im Restaurant vor allem Frauen. Die Kundinnen kommen auch deswegen her, um das Restaurant zu unterstützen. "Ich möchte, dass all die Frauen, deren Talente verborgen sind, weil sie das Haus nicht verlassen dürfen, eine Chance bekommen. Und ich möchte einfach, dass auch diese Frauen einen Job finden können", sagt eine Kundin.

Freiheit für alle

Zurück in Kabul: Immer freitags wandert Gaisu Yari mit ihrer Familie in die umliegenden Berge der Hauptstadt. Alle wandern mit, Nichten und Neffen. Die Familie hat ein modernes Rollenverständnis, nicht selbstverständlich in dem islamischen Land. Gaisu Yari will für alle Freiheit: "Für mich bedeutet Freiheit, frei denken zu können, frei zu entscheiden, mich frei zu bewegen, ohne Einschränkung Ideen und meine Meinung äußern." Doch was wird sie tun, wenn das alle wieder auf dem Spiel stünde? Als Preis für den Frieden in Afghanistan? "Das wäre schrecklich. Ich hoffe, dass die Taliban uns die Freiheit nicht nehmen. Wir haben sehr hart in den vergangenen 19 Jahren gekämpft. Ich denke nicht, dass die afghanischen Frauen bereit sind, das wieder herzugeben. Ich werde kämpfen." Auch für die nächste Generation von jungen Mädchen und Frauen in Afghanistan.        

Autorin: Sibylle Licht, ARD Studio Neu Delhi

Stand: 29.03.2020 19:48 Uhr

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