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Vietnam: Menschenhandel mit Bräuten

Vietnam: Menschenhandel mit Bräuten | Bild: NDR

Lan erinnert sich noch wie heute an den Sonntag, als ihre Mutter einfach nicht mehr vom Markt zurückkam. Verschwunden. Einfach so. Lans Geschichte ist eine von vielen hier in den Bergen von Nordvietnam. Ihre Mutter sei in China hört Lan später von einem Onkel. Er verspricht der damals 14-Jährigen zu helfen. Von Lans Dorf aus sind es nur wenige Kilometer bis zur Grenze: "Es war schon nachts, als mich mein Onkel nach China brachte. Dort wartete eine Frau. Sie versprach, mich zu meiner Mutter zu bringen, aber als wir auf der anderen Seite des Roten Flusses waren, war meine Mutter da nicht."

Statt ihre Mutter zu treffen, wird sie als Braut an eine chinesische Familie verkauft. Illegal und ohne Trauschein soll die Teenagerin nun als Ehefrau zu Diensten sein. Nach Monaten gelingt es ihr irgendwie zu fliehen. Über die Einzelheiten ihrer Zeit in China spricht Lan spricht nicht gern: "Ich war sehr verzweifelt und einfach traurig. Ich hatte alle meine Hoffnung verloren und den Willen zu leben."

30 Millionen chinesische Männer finden keine Frau

Der große Nachbar China ist überall zum Greifen nah. Auf der anderen Seite des Hongs Song, des Roten Flusses, gibt es mindestens 30 Millionen Männer im heiratsfähigen Alter, die keine Frau finden. Manche lassen deshalb in Nachbarländern wie Vietnam nach Bräuten suchen.

Die meisten Mädchen kommen wie Cuc aus sehr armen Familien. Sie folgte einer Freundin über die Grenze, die ihr einen gut bezahlten Job versprochen hatte. Stattdessen wurde sie Braut wider Willen. Allein zwischen 2012 und 2017 wurden offiziell 3.000 Fälle bekannt, die Dunkelziffer ist wohl um ein Vielfaches höher.

"Sie haben mich bedroht und mir gesagt, dass ich niemals mit irgendjemandem sprechen soll. Ich sollte einfach immer nur Nicken oder den Kopf schütteln, wenn mich jemand anspricht. Niemand sollte herausfinden, dass ich Vietnamesin bin. Sie haben mir gedroht, dass die Polizei mich sonst ins Gefängnis sperrt", erzählt Cuc.

Junge Frauen werden angesprochen oder unter Drogen gesetzt

In das Frauenhaus der Organisation Pacific Links in Nordvietnam kommen Mädchen und junge Frauen, die es irgendwann geschafft haben, wegzulaufen. Das gelingt nur den wenigsten: Ahn wurde mit 15 von einem Freund ihres Bruders verkauft. Er hatte ihr einen Ausflug versprochen. Dann war sie plötzlich in China. Umgerechnet rund 5.000 Euro hätte er für Ahn bezahlt, habe ihr der Schwiegervater gesagt. "Ich habe mich wie ein Objekt gefühlt, wie ein Produkt auf dem Markt. Ich war kein Mensch mehr. Männer kamen vorbei und begutachteten mich wie eine Ware, die sie auswählen. Ich hatte solche unbeschreibliche Angst."

 Auf Märkten wie in Bac Ha werden junge Frauen von Männern oft angesprochen oder unter Drogen gesetzt. Meist haben sie sich vorher über Social Media kennengelernt. Viele sind extrem gutgläubig und erkennen die Gefahr nicht, sagt die Sozialarbeiterin Loan Luong. Sie sieht die Ursache des Frauenhandels auch in der jahrzehntelangen "Ein-Kind-Politik" Chinas. Söhne, die den Familiennamen weitertragen, waren bevorzugt: "Chinesische Männer finden nun keine Frauen und suchen deshalb vietnamesische Frauen, um eine Familie zu gründen. Selbst wenn sie nicht heiraten können, wollen sie eine Frau kaufen und ein Kind haben", sagt Loan Luong.

Aufklärungskampagne der Regierung in Schulen

Schülerinnen und Schüler in einer Klasse.
Die vietnamesische Regierung warnt vor dem Menschenhandel. | Bild: NDR

In der Bao Yen High School Nummer 1 versammeln sich Jungen und Mädchen der Oberstufe zu einer Aufklärungskampagne der Regierung. Vu Thi Thuy vom Sozialministerium warnt: Zu 90 Prozent sind Frauen und Kinder Opfer des Menschenhandels. Selbst euer Onkel oder Cousin könnte versuchen, Euch zu verkaufen. Die Familien dieser Teenager verdienen oft nur die Hälfte des vietnamesischen Durchschnittseinkommens. Armut macht sie zu Tätern oder Opfern.

"Es ist grausam, was die Mädchen und Frauen zum Teil in China durchmachen müssen. Sie müssen nicht nur ihren Ehemännern sexuell zu Diensten sein, sondern manchmal noch anderen Familienmitgliedern. Wenn sie sich weigern, riskieren sie, dass man sie schlägt oder ihnen nichts zu essen gibt“, sagt Vu Thi Thuy vom Sozialministerium.

Phuang aus der 11. Klasse erzählt, sie sei auch schon von Männern angesprochen worden, die sie angeblich nur einladen wollten. Fast jede hier kenne solche Geschichten. "Erst vor einer Woche ist ein Mädchen, das 15 war, einfach so verschwunden für zwei Tage. Sie war mit ihrem Freund mitgegangen. Sie wollten nach China, sie wäre fast Opfer von Menschenhandel geworden, aber zum Glück hat die Polizei sie gefunden", sagt Phuang.

1.300 Kilometer lang ist die Grenze zu China. Die Zäune stehen erst seit Kurzem. Doch dschungelartigen Berglandschaften sind schwer zu bewachen, sagt Grenzpolizist Trong Ha. Immerhin gäbe es inzwischen mehr Zusammenarbeit mit China, wie eine Hotline. "In den letzten Jahren hat China wirklich sehr geholfen, viele Opfer zu retten", sagt Trong Ha.

Opfer werden als "China-Mädchen" beschimpft

Zurück bei Lan: Ihr Vater raucht viel. Sie vermeiden das schwierige Thema. Wer in solcher Armut lebt, kann sich Emotionen schwer leisten. Im Dorf haben sie viel über Lan getratscht. Als "China-Mädchen" werden Opfer wie sie beschimpft. Lan macht inzwischen eine Ausbildung zur Köchin. Ihre Mutter ist mutmaßlich immer noch irgendwo in China. Sie hat nichts mehr von ihr gehört. "Manchmal vermisse ich sie so sehr. Immer wenn ich an zu Hause denke, denke ich an meine Mutter. Immer wenn ich müde und erschöpft bin, will ich einfach zu ihr."

Manchmal fühlt sich ihr Leben taub an: Doch Lan hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, ihre Mutter irgendwann vielleicht doch noch wiederzusehen.

Autorin: Sandra Ratzow, ARD-Studio Singapur       

Stand: 18.09.2022 18:15 Uhr

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