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Ukraine: Krieg oder Frieden? Die Angst vor dem russischen Einmarsch

Ukraine: Krieg oder Frieden? Die Angst vor dem russischen Einmarsch | Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Andriy Andriyenko

Die ganze Welt schaut wieder auf diese Region: den Osten der Ukraine. Die Straßen neu geteert, die heftigen Gefechte in der Region liegen Jahre zurück. Nicht weit entfernt sind Ende vergangenen Jahres Aufnahmen entstanden: Panzertransporte auf der russischen Seite der Grenze. Rund Hunderttausend Soldaten sollen bereit stehen, heißt es im Westen – die Furcht vor einer russische Invasion in die Ukraine ist groß.

Kramatorsk rund 50 Kilometer von Frontlinie entfernt

Fassade eine Einkaufzentrums
In Kramatorsk entstehen neue Einkaufszentren. | Bild: NDR

Im ukrainischen Kramatorsk ist von Nervosität in diesen Tagen trotzdem nichts zu spüren. Eduard Kulinitisch stammt aus der Stadt. Er erholt sich gerade von drei Jahren Militärdienst. Den russischen Truppenaufmarsch sieht der Veteran gelassen: "Wir haben schon aufgehört, Angst zu haben. Uns hat man die Angst abgewöhnt.

Von Kramatorsk liegt die Frontlinie etwa 50 Kilometer entfernt. 2014 tobte hier der Krieg, die Stadt war wochenlang von bewaffneten Kämpfern besetzt, die aus Russland unterstützt wurden. Doch nach monatelangen Gefechten gewann das ukrainische Militär die Kontrolle zurück. Eduard Kulinitsch hat ein Denkmal für seine damals getöteten Landsleute initiiert. Er glaubt: Ein russischer Einmarsch heute würde ganz anders ablaufen. Die ukrainische Armee hat sich professionalisiert, besitzt neue Waffen. Kulinitisch glaubt ans Kämpfen, kann sich Versöhnung nicht mehr vorstellen: "Ich war ein normaler Mensch - nicht besser, nicht schlechter. Durch den Krieg habe ich verstanden, dass die Ukraine mein Land ist und ich für dieses Land kämpfen werde."

Kramatorsk: Aufschwung durch den Krieg

Lokaljournalist Alexej Ladyka im Interview.
Lokaljournalist Alexej Ladyka: schockiert von einer offiziellen Karte mit Schutzräumen. | Bild: NDR

Die einst depressiv wirkende Donbass-Stadt Kramatorsk hat der Krieg ironischerweise etwas Aufschwung beschert. Sie wurde zur Regionalhauptstadt: Wohnviertel wurden renoviert, neue Häuser und Einkaufszentren entstehen. Die Regionalverwaltung und Hochschulen zogen hierher um. Hier ist zudem ein wichtiger Militärstützpunkt. Doch um den Schutz der Bevölkerung vor einem möglichen Angriff haben sich die Behörden offenbar wenig gekümmert. Lokaljournalist Alexej Ladyka hat das untersucht – und war von einer offiziellen Karte mit Schutzräumen schockiert: "Auf der Karte sieht man seltsame Dinge. Zum Beispiel gibt es einen Schutzraum auf dem Gebiet einer Brotfabrik – die gibt es aber längst nicht mehr. Sie ist eine Ruine. Und: viele Schutzräume auf der Karte sind mit Wasser vollgelaufen, also unbrauchbar. Hinzu kommt, dass es in vielen Stadtvierteln gar keine solche Räume gibt." Auch Unterführungen sind als Schutzräume markiert. Doch irgendwie scheint die prekäre Situation hier niemanden wirklich zu beunruhigen.

Kramatorsk liegt im russischsprachigen Teil der Ukraine. Doch in Interviews wollen viele ukrainisch reden - die Regierung fördert die ukrainische Sprache, das Russische wird zumindest im offiziellen Leben zurückgedrängt. Lokaljournalist Ladyka erinnert daran, dass es längst eine russische Invasion in der Ukraine gebe: "Ich weiß nicht, wie Sie das in Europa oder den USA sehen, aber: Putin hat uns 2014 angegriffen, vor acht Jahren. Und dieser Krieg geht bis heute weiter. Man tötet uns, greift uns an und zerstört unsere Häuser."

"Ich habe in Gefangenschaft so viel durchgemacht"

Eduard Kulinitisch im Interview.
Eduard Kulinitisch kann sich Versöhnung nicht mehr vorstellen. | Bild: NDR

Auch Eduard Kulinitisch kann die Kämpfe nicht vergessen. Noch als Freiwilliger half er 2014 an der Front. Dann geriet er in Gefangenschaft der prorussischen Rebellen – im Nebenzimmer hätten "Leute aus Moskau" gesessen, sagt er. "Ich habe in Gefangenschaft so viel durchgemacht, dass ich das niemals jemandem verzeihen kann. Auf dem Weg zum Verhör mussten wir an Kämpfern oder irgendwelchen Leuten vorbeigehen, die einfach auf uns eingeprügelt haben. Oder sie konnten dir die Zähne ausschlagen. Und wenn du dann noch dein Verhörprotokoll gelesen hast, schon unterschrieben, und da stand: Erschießen. Ich hatte eine Horror-Nacht! Ich war sicher, dass man uns am folgenden Morgen erschießen würde."

Doch Kulinitisch hatte Glück: Weil der Sohn eines Rebellen-Kommandanten in ukrainischer Gefangenschaft war, kam er mit Kameraden bei einem Gefangenenaustausch frei. Die Ukraine sollte NATO-Mitglied werden, sagt Kulinitisch. In Umfragen teilt eine knappe Mehrheit der Bevölkerung diese Meinung. "Es gibt in Kramatorsk Menschen, die ihre Grundstücke abgeben würden, damit die NATO hier eine Raketenbasis aufbaut. Ein Bekannter hat 700 Quadratmeter Land, wenn das reicht, kann ich das hergeben, sagt er. Niemand hier will, dass sich 2014 wiederholt." Noch immer fährt er das Auto, in dem er als Freiwilliger damals beschossen wurde. Die Einschusslöcher hat er reparieren lassen. An einen Erfolg der politischen Verhandlungen zur Ukraine-Krise glaubt Kulinitsch nicht. Mit Russland sollen wir nicht reden, sagt er verbittert, sondern es ignorieren und alle Beziehungen abbrechen.

Autor: Demian von Osten, ARD-Studio Moskau

Stand: 10.01.2022 10:57 Uhr

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