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Syrien: Ost-Ghouta nach dem Abzug der Rebellen

Syrien: Ost-Ghouta nach dem Abzug der Rebellen | Bild: NDR

Akram Yahya rettet Leben, jede Woche – schon etliche Male und ganz unspektakulär. Hungernde Menschen aus seiner Nachbarschaft versorgt er mit dem Nötigsten aus einem Warenlager des syrischen Roten Kreuzes. Der 47-Jährige ist einer von zwölf Vertrauensleuten, der Öl, Linsen, Bohnen und Reis bekommt. Das Lager ist schon fast leer. Erst in zehn Tagen liefern die Vereinten Nationen eine neue Ladung. Es wird der Mangel verwaltet in Duma, früher die Verwaltungshauptstadt von Ost-Ghouta. Heute ist es eine Trümmerlandschaft.

Der Familienvater Akram ist noch vergleichsweise glimpflich durch den Krieg gekommen. Er hat noch etwas Geld von früher. Nun will er denen helfen, die ums Überleben kämpfen: "Diese Aufgabe ist die beste, die ich mir wünschen kann – wenn eine Familie nichts mehr hat und ich ihr helfen kann. Es ist die vornehmste Tätigkeit überhaupt in der Welt."

Jeden Tag läuft er an Trümmern vorbei, durch die Hitze von Duma zu einem Brunnen, um Wasser zu holen. Majed Shikh Daher leidet unter eine Nervenkrankheit. In den vergangenen Jahren hat er viel Gewicht verloren. Früher war der 30-Jährige Handwerker. Heute hat er kein Geld, keinen Job, keine Perspektive. Seine Wünsche sind bescheiden. "Ich wünsche mir einfach nur, genug Wasser zu haben. Es nicht jeden Tag holen und schleppen zu müssen. Und Strom. Dass jeder wieder Wasser und Strom zu Hause hat." Akram bringt ihm ab und an Labensmittel. Ohne seine Hilfe käme Majed Shikh Daher kaum über die Runden. Während des Krieges hatte sich Majed mit seinen Eltern in einer Wohnung verschanzt. Manchmal hatten sie tagelang nichts zu essen: "Es war sehr, sehr schwierig. Sie ließen uns nicht raus aus unseren Vierteln zum Arbeiten, diese terroristischen Milizen. Wir konnten kein Geld verdienen."

Die Angst ist weg – nun herrscht Tristesse und Mangel

Majed Shikh Daher
Einfach nur genug Wasser – das ist der Wunsch von Majed Shikh Daher. | Bild: NDR

Früher war Ost-Ghouta das Naherholungsgebiet von Damaskus: einige Dörfer, die grüne Oase vor der Hauptstadt. Mit der Landflucht enstanden Trabantenstädte. Allein in Duma lebten 120.000 Menschen. 2011 übernahmen islamistische Rebellen die Kontrolle. Es folgten Belagerung, Hungersnot, Bombenhagel. Vor zwei Monaten zogen die letzten Rebellen ab. Nun hat Präsident Assad die Kontrolle zurück. Langsam kehrt wieder Alltag ein. Läden öffnen, Häuser werden notdürftig repariert. Aiman Shekh Daher ging all die Jahre nicht zur Schule, hatte keinen Job. Nun packt der 19-Jährige mit an, räumt Schutt weg, kümmert sich um seine vier Geschwister. Die Angst ist weg. Nun herrscht Tristesse und Mangel. "Am meisten wünsche ich mir einen Job. Das wäre ein Traum. Und einmal zu studieren", sagt Aiman Shekh Daher.

Auch Aiman und seine Familie kommen ohne Akrans Hilfe nicht über die Runden. Früher gehörten sie zum Mittelstand des Landes. Heute müssen sie um Spenden bitten. Gerade für die Jüngsten ist dies eine schwere Bürde: "Wir leiden ja nun schon seit sieben Jahren. Gerade die Jugendlichen, die Kinder. Für sie brauchen wir viel mehr Unterstützung. Wir versuchen zu helfen, aber es reicht nicht.“

"Wer starb, hatte seine Ruhe"

Ein Kind läuft durch die Trümmer von Ost-Ghouta
Seit sieben Jahren leidet die Bevölkerung. | Bild: NDR

Ein Soldat der syrischen Armee präsentiert ein kilometerlanges, weitverzweigtes Tunnelsystem in der Unterwelt von Duma. Hier hätten die Rebellen Lebensmittel gehortet, auch Medikamente und reichlich Waffen, sich bis zuletzt verschanzt, erzählt er. Kliniken, Waffenlager, Stützpunkte seien so miteinander verbunden gewesen. Er selbst kämpfte an vorderster Front gegen die Rebellen. "Der Tunnel hat unseren Kampf erschwert. Das war schon sehr schwierig. Wir konnten sie nicht sehen, nur schwer an sie herankommen", erinnert sich der Soldat.

Während draußen die Bomben fielen, kauerte Akram mit seinen Kindern im Keller eng beisammen. An einer Wand, weit weg vom Fenster. An Lernen oder Spielen war nicht zu denken. Wenn er raus musste, hatte er Sorge, seine Lieben womöglich nie mehr wieder zu sehen. Der Tod war immer da: "Wer starb, hatte seine Ruhe. Wir sagten manchmal, der Tod ist eigentlich das beste, was uns passieren kann."

Ein Leben in Trümmern und Not

Menschen in den Trümmern von Ost-Ghouta
Im Februar begann Assad eine große Offensive und eroberte die Region vor den Toren von Damaskus zurück. | Bild: NDR

Früher hatte Samir Vahra gut zu tun. Heute hat er sein Erspartes aufgebraucht. Der 36-Jährige Familienvater baut Fenster. Eigentlich müsste er alle Hände voll zu tun haben. Tausende Fenster in Duma sind geborsten. Doch die Kunden bleiben aus: "Die Menschen haben den Krieg gerade hinter sich gelassen, kein Geld mehr, überhaupt kein Geld. Wir machen nur das Allernötigste." Der Wiederaufbau dürfte Milliarden kosten. Geldgeber aber sind nicht in Sicht. Der Westen hält sich zurück, so lange Assad an der Macht ist. Was bleibt, ist ein Leben in Trümmern und Not. Auch Samir steht auf Akrams langer Liste. Bittsteller zu sein, ist dem gestandenen Handwerker denkbar unangenehm. So wie vielen anderen in der Nachbarschaft auch. "Wenn wir einen Film im Fernsehen mit unseren Kindern anschauen und er gefällt uns nicht, schalten wir um. Aber leider können wir die Realität nicht ausschalten", sagt Akram. Dies ist die triste Realität, auch zwei Monate nach dem Abzug der Rebellen. Akram will helfen, zumindest die schlimmste Not in seinem Viertel ein wenig zu lindern.

Autor: Daniel Hechler, ARD Studio Kairo

Stand: 27.08.2019 00:32 Uhr

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