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Irland/Nordirland: Neue Ängste nach 20 Jahren Frieden

Irland/Nordirland: Neue Ängste nach 20 Jahren Frieden  | Bild: NDR

Vier Stunden schon sitzt Stephen Travers im Auto – einmal quer durch Irland. Immer Richtung Norden. "Drift away" schmettert die "Miami Showband". Das waren Zeiten, ganz oben waren die Jungs aus dem Norden und dem Süden in den Charts und Steven war einer von ihnen – der Bassist aus Tipperary. "Fran, unser Sänger, war superpopulär, die Mädchen liebten ihn. Er war so eine Art ein Pin-up-Typ. Wir waren jung und cool", erinnert sich Stephen Travers.

Irgendwann überquert er die Grenze nach Nordirland, nach Großbritannien. Man muss schon genau hinschauen, um das alte Grenzhäuschen noch zu entdecken. Freie Fahrt, für Briten und für Iren. Wo früher Wachtürme, Kasernen und Zäune die Landschaft durchschnitten – nichts als Idylle. So als hätte nichts und niemand den Frieden je gestört.

Aber wenn jemand weiß, wie fragil dieser Frieden ist auch 20 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen – dann ist es Stephen. Immer wieder zieht es ihn an diese Stelle, gleich neben der Autobahn, die vom irischen Dublin ins britische Belfast führt. Manche sagen, es ist der Ort an dem die Musik starb.

"Die Bastarde sind tot"

"Alles war richtig rot, blutrot wie bei einem Sonnenuntergang. Und während ich die Böschung herunter geschleudert wurde nahm ich jedes Blatt ganz bewusst wahr.“ Fast ist es als durchlebe Steven noch einmal jene Nacht im Juli 1975: die Straßensperre, Militär, Routinekontrolle, wie so oft auf dem Höhepunkt des nordirischen Bürgerkriegs.

Durch eine Bombe zerstörter Bus
Der Tourbus der "Miami Showband" wurde in die Luft gesprengt. | Bild: NDR

Minuten später fliegt der Tourbus der "Miami Showband" in die Luft. Tot sind die Bombenleger von der protestantischen Terrorgang UVF. Der Plan, eine Bombe im Bus der Band zu platzieren, misslingt. Sie explodiert zu früh. Aber jetzt gibt es Zeugen, auch dafür, dass britische Soldaten beteiligt sind. Eine perfide Taktik: Die zwischen Nord und Süd pendelnden Bandmitglieder sollten, sagt Stephen, als Täter, als irische Terroristen herhalten; und den Briten als Argument dienen, die Grenze zu Irland dicht machen zu können. Alles geht schnell. Kugeln durchsieben die Musiker. Tony wird ermordet, Frans Gesicht von 17 Schüssen zerfetzt, Brian hingerichtet. Stephen zerreißt es die Hüfte. "Ich hörte Schritte, und als der Mann neben mir stand rief ein anderer: 'Komm, die Bastarde sind tot. Ich hab denen Dum-Dum-Geschosse in die Körper gejagt'", erinnert sich Travers.

Stephen überlebt schwerverletzt, verwundet an Körper und Seele. Wertlos sei sein Leben gewesen. Bis er seine Mission erkennt und ein Reisender wird in Sachen Versöhnung und Gerechtigkeit.

Versöhnung ist nicht einfach

Alan McBride
Alan Mc Bride verlor seine Frau durch eine Bombe der IRA. | Bild: NDR

Ein Gemeindezentrum mitten in Nordirland: Eine Veranstaltung wie es sie jetzt häufiger gibt. Mit Teilnehmern, die sich früher als Feinde sahen und heute zusammen um Frieden ringen. Was sie verbindet ist das Leid. Versöhnung ist nicht einfach – singt der Barde – drei Brüder hat Eugene Reavey verloren. Hingerichtet, weil sie katholisch waren.

Alan Mc Bride verlor seine Frau, die Tochter ist da gerade mal zwei – zerfetzt von einer Bombe der katholischen IRA. Sharon hatte dem Vater im Fisch-Laden geholfen. In Belfast auf der Shankill Road, wo die Protestanten leben. "Wir können nicht nur die Bombenleger verantwortlich machen. Es gab auch die, die Einfluss ausübten, in dem sie Hass predigten", erzählt Alan McBride.

Belfast, Nordirlands Zentrum: Am Hafen ist Aufschwung sichtbar. Touristen kommen, seit es sicher ist - eine Friedensdividende. Hier hat Europa investiert seit dem Karfreitagsabkommen. Aber noch steht sie – die gewaltige Mauer, die protestantische und katholische Viertel trennt. Auch in den Köpfen.

"Terrorgangs beider Seiten sind immer noch aktiv"

Grenzhäuschen zwischen Nordirland und Großbritannien
Früher durchschnitten Wachtürme, Kasernen und Zäune die Landschaft. | Bild: NDR

In Belfast treffen wir auch wieder auf Alan McBride, bei einer Ausstellungseröffnung. Jeder Schuh, der hier gezeigt wird ist ein Schicksal. Ein Leben, viel zu früh ausgelebt, ausgelöscht. 3.600 Menschen Leben hat der Nordirlandkonflikt gekostet. Lang nicht jede Wunde ist verheilt. Nicht jede Geschichte erzählt, nicht jeder Täter zur Verantwortung gezogen. Das hier sollten alle Politiker sehen, meint Allan – vor allem die, die immer noch Teilung predigen. Und Hass. "Ja ,es gibt Frieden, viel weniger Tote, aber die Paramilitärs, die Terrorgangs beider Seiten sind immer noch aktiv. In unser Traumazentrum kommen jede Woche Menschen, die immer noch von solchen Gruppen bedrängt werden", erzählt Alan McBride.

Stephen ist schon wieder unterwegs. Gewalt darf sich nicht wiederholen, das ist gerade jetzt seine Botschaft, wo der Brexit näher rückt. Und alte Gräben wieder aufreißt. Zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Briten und Iren. Eine harte Grenze – Gift für den Frieden. "Wut über eine solche Grenze bricht sich in Gewalt Bahn. Leute werden sagen – dieser Friedensprozess, das Karfreitagsabkommen waren reine Zeitverschwendung. Das ist die Gefahr", sagt Stephen.

"Ich habe Feuer gesehen und Regen", singt Fran von der "Miami Showband". "Und die Sonne." Stephen nähert sich der Grenze – sichtbar ist sie nicht, aber in seiner Seele bleibt sie der ewig schmerzende Stachel.

Autorin: Hanni Hüsch, ARD-Studio London

Stand: 02.08.2019 05:01 Uhr

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