Di., 25.04.23 | 05:30 Uhr
Wirtschaftsexperte Fratzscher: Zeitenwende am Arbeitsmarkt
Arbeitskämpfe werden zunehmen
Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, geht von einer deutlichen Zunahme der Arbeitskämpfe in Deutschland aus. “Einerseits, weil die Inflation hoch ist. Die Lohnabschlüsse, die wir jetzt im Öffentlichen Dienst gesehen haben, die kompensieren ja noch nicht einmal die Inflation, die wir in den letzten Jahren hatten. Die Menschen müssen den Gürtel enger schnallen.“
Zweitens befände sich der Arbeitsmarkt in einer großen Zeitenwende, weg von einem Arbeitgeber – hin zu einem Arbeitnehmermarkt. “Denn wir haben heute schon ein riesiges Fachkräfteproblem in Deutschland – zwei Millionen offene Jobs“. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer könnten sich die besten Bedingungen aussuchen.
Geringverdiener sind am härtesten betroffen
Zwar bringe das auch eine Stärkung der Gewerkschaften mit sich. Doch sei nur etwa die Hälfte der Jobs in Deutschland über Tarifverträge abgedeckt. Wer Mindestlohn verdiene, der habe in der Regel keinen Tarifvertrag. Menschen mit wenig Einkommen hätten eine viel höhere individuelle Inflation, weil sie anteilig viel mehr für Lebensmittel, Energie usw. aufwenden müssten. “Deswegen sind Menschen mit geringen Einkommen viel härter betroffen“, sagte der Wirtschaftsexperte.
Staat ist großer Inflationsgewinner
Der Staat spiele bei den aktuellen Tarifabschlüssen seine Bürgerinnen und Bürger gegen seine Beschäftigten aus. "Denn wenn man ehrlich ist, ist der Staat der große Gewinner der Inflation. Wenn Sie jetzt in den Supermarkt gehen und 25 Prozent mehr für den üblichen Einkauf zahlen, kassiert der Staat mit." Bund und Länder hätten sprudelnde Steuereinnahmen. Anders als die Kommunen, die müssten den Gürtel enger schnallen. "Und was jetzt entsteht, ist: Die Beschäftigten bekommen noch nicht einmal die Inflation. Auf der anderen Seite kommen viele Kommunen noch stärker in Schieflage", so Fratzscher.
Stand: 25.04.2023 11:49 Uhr
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