"Wir passen ganz gut in den Norden"

Sven Martinek und Ingo Naujoks über ihre zweite Heimat Norddeutschland, knackige Typen von der Küste und 100 Folgen "Morden im Norden".

Neue Folgen des Vorabendkrimis ab Montag (02.11.20) mit den Ermittlern Finn Kiesewetter (r.) und Lars Englen (l.), gespielt von Sven Martinek (r.) und Ingo Naujoks (l.). Zum Team der beiden Lübecker Kommissare zählen weiterhin Kommissarin Nina Weiss (Julia A. Lenska), Proschat Madani spielt die Staatsanwältin Dr. Hilke Zobel, Christoph Tomanek den Rechtsmediziner Dr. Henning Strahl und Veit Stübner spielt Oberkommissar Heinz Schroeter. Neu hinzu kommt Kommissarin Tomke Jenssen, gespielt von Anjorka Strechel.
"Morden im Norden": Neue Folgen des Vorabendkrimis ab Montag (02.11.20) mit den Ermittlern Finn Kiesewetter (r.) und Lars Englen (l.), gespielt von Sven Martinek (r.) und Ingo Naujoks (l.).  | Bild: ARD / Georges Pauly

Sven Martinek und Ingo Naujoks plaudern im gemeinsamen Interview über ihre zweite Heimat Norddeutschland, knackige Typen von der Küste und 100 Folgen "Morden im Norden".

Seit 2011 stehen Sie jedes Jahr in Lübeck, Hamburg und Umgebung ür "Morden im Norden" vor der Kamera. Sie leben in Berlin. Sind Sie in Norddeutschland heimisch geworden?

SVEN MARTINEK: Der Norden ist schon fast unsere zweite Heimat! Wir verbringen hier mindestens sechs Monate im Jahr, wenn wir eine neue Staffel drehen. Bereits vor "Morden im Norden" habe ich immer viel an der Küste, in Lübeck und in Hamburg gearbeitet und mich in Norddeutschland nie fremd gefühlt. Klar, die Menschen sind ein bisschen unterkühlter als im Rest der Republik, aber diese Art liegt mir persönlich. Es wird nicht viel gelabert. "Jo!" gilt ja bereits als vollständiger Satz. Ich musste mich nicht daran gewöhnen, ehrlich gesagt.

INGO NAUJOKS: Es gibt im Norden so knackige Typen, wie ich sie auch aus meiner alten Heimatstadt Bochum kenne. Mit dem Unterschied, dass der richtige Ruhrgebietler, wenn er vor seinem Büdchen steht, alles dreimal sagt: Machste mal die Flasche Bier auf? Haste nicht gehört, Flasche Bier aufmachen, habe ich gesagt. Jetzt mach‘ doch mal die Flasche Bier auf! Für die jüngere Generation, die multikulturell aufgewachsen ist, mag das nicht mehr zutreffen. Wenn man aber mit einem Ur-Lübecker zusammenkommt, so einem geraden Kerl, und "Moin Moin" sagt, dann ist dem das schon zu viel der Worte.

Geradeheraus und schnörkellos – würden Sie sich auch selber so charakterisieren?

SVEN MARTINEK: Ich halte es so wie am Telefon. Bei mir muss ein Gespräch immer informativ sein. Direkt, trocken, kurz und knapp. Eigentlich mag ich es nicht sonderlich, angerufen zu werden. Und wenn man mich dann auch noch volltextet, kriege ich die Krise. So gesehen bin ich schon eher der norddeutsche Typ. Nicht lange reden, machen!

INGO NAUJOKS: Wir passen mit unserer etwas unprätentiösen Art und Weise ganz gut in den Norden. In dieser Hinsicht ist man uns in der Serie immer mehr entgegengekommen und hat mit der Zeit kapiert, wofür wir als Ermittler-Duo stehen. Seit wir nicht mehr versuchen, witzig und skurril zu sein, sondern die Kriminalfälle ernst nehmen, ist "Morden im Norden" ein großer Erfolg. Aber man muss natürlich aufpassen, dass die beiden Figuren sich nicht gegenseitig anschweigen. Es braucht hin und wieder ein klärendes Wort, damit die Zuschauerinnen und Zuschauer nachvollziehen können, wie die Kommissare einem Täter auf die Schliche gekommen sind. Wir können nicht auf Stummfilm schalten.

Finn (Sven Martinek) und Lars (Ingo Naujoks) wollen Jonas befragen, doch der Junge ist plötzlich verschwunden.
Finn (Sven Martinek) und Lars (Ingo Naujoks) sind in diesem Fall auf der Suche nach einem Jungen, der plötzlich verschwunden ist. | Bild: ARD / Georges Pauly

Gehört Ihre Krimiserie in den Norden?

SVEN MARTINEK: Unser Kommissariat ist zwar in Lübeck angesiedelt, aber unsere Fälle spielen in der gesamten Region zwischen Nord- und Ostsee. Was wir erzählen, sind auf den ersten Blick traditionelle Kriminalgeschichten. Es geschieht ein Mord, und wir klären ihn auf. Allerdings ist es uns wichtig, die sozialen und familiären Hintergründe eines Verbrechens zu beleuchten, unsere Täter sind oft tragische Figuren.

INGO NAUJOKS: Klar ist, wir ermitteln in nordischen Milieus, zu denen einfach bestimmte Typen gehören – wie der große blonde blauäugige Polizeikollege oder wie die zwei Jungs, die sich selber nur mit Digger und Alder ansprechen. Wenn der eine sagt: "Digger, was geht ab?" Und der andere antwortet: "Ey, was geht’n Alder?" Dann ist der Norden sofort da. Wir sind als Zugezogene in dieses Ambiente hineinverpflanzt worden. Ich halte uns beide zwar eher für multikulti, aber indem wir im Norden ermitteln, färbt die Region auf uns ab. Und nicht nur Lübeck! Irgendjemand hat einmal gesagt, wir sind der "Tatort" für den ganzen Norden. Das finde ich nach wie vor sehr treffend.

SVEN MARTINEK: Ansonsten sterben die Leute in Lübeck nicht anders als in Garmisch-Partenkirchen, sieht man einmal davon ab, dass die Opfer im Norden häufiger im Wasser treiben und im Süden in tiefe Schluchten stürzen.

INGO NAUJOKS: Das Fernsehen hat natürlich seine Tricks, um eine Serie zu verorten. Meistens erkenne ich schon an der Titelmusik einer Serie, in welchem Teil des Landes ich mich befinde. Wenn einer die Tuba bläst, spielen die Geschichten sehr wahrscheinlich im Süden. Dazu strahlt mich im Vorspann ein blauweißer Himmel an, die Kommissare tragen Trachtenjacken, die Sekretärinnen Dirndl und der Bürgermeister hat den größten Pinsel am Hut. Willkommen in Bayern! Holstentor, Hafen, der weite Horizont – auch unsere Serie hat ihr Lokalkolorit, aber es sieht alles eine Spur urbaner aus.

Eine der ersten Folgen beginnt mit einem Paukenschlag: Kommissar Finn Kiesewetter wird vom Dienst suspendiert. Hat er wieder die Vorschriften missachtet?

SVEN MARTINEK: Als Kiesewetter einen harmlos wirkenden Jugendlichen festnehmen will, zieht der plötzlich eine Waffe, es kommt zu einem Gerangel, bei dem sich ein Schuss löst. Daraufhin wird Kiesewetter von der Staatsanwältin wegen unprofessionellen Verhaltens freigestellt. Er macht sich große Vorwürfe, folgt aber seinem Gerechtigkeitssinn und beginnt ohne Marke zu ermitteln, warum der Junge in einem Porsche herumfuhr, eine Menge Bargeld dabei hatte und mit einer Pistole herumhantierte.

Lars (Ingo Naujoks) hat das Handy des Toten gefunden. Er zeigt es Finn (Sven Martinek).
Lars (Ingo Naujoks) und Finn (Sven Martinek) im Einsatz in den neuen Folgen. | Bild: ARD / Georges Pauly

Auf welche Seite schlägt sich Kommissar Lars Englen?

INGO NAUJOKS: Das steht für Englen außer Frage. Er hat denselben ermittlungstechnischen Fehler begangen. Sie sitzen beide in einem Boot, da steigt keiner aus und lässt den anderen im Stich, nach dem Motto: Es ist deine Schuld, also sieh’ selber zu, wie du aus der Sache wieder herauskommst. Diese zweite Episode der neuen Staffel, "Romeo und Julia", erzählt eine Menge über uns. Bei Kiesewetter und Englen handelt es sich einfach um zwei gerade, korrekte Jungs.

Am 14. Dezember wird die 100. Folge von "Morden im Norden" ausgestrahlt. Was bedeutet Ihnen dieses Jubiläum?

SVEN MARTINEK: Es ist der Wahnsinn! Als wir 2011 unter der Marke "Heiter bis tödlich" als Schmunzelkrimi gestartet sind, hätte ich im Traum nicht daran gedacht, die 100 vollzumachen. Heute sehe ich es als große Bestätigung für unsere Arbeit, nachdem wir so lange für einen Genrewechsel, für eine inhaltliche Neuausrichtung der Geschichten und Figuren hin zum Drama gekämpft haben.

INGO NAUJOKS: Finn hat damals noch bei seinen Großtanten gelebt. Und Lars ist sein Chef gewesen, der den ganzen Tag nichts anderes zu tun hatte, als die Kollegen im Kommissariat gegeneinander aufzuhetzen. Erst als wir ein Team geworden sind, erhielt "Morden im Norden" seine unverwechselbare Handschrift.

SVEN MARTINEK: Das heißt: In unseren Geschichten geht es nicht immer nur um Habgier oder Macht, sondern oft um Verzweiflungstaten von Menschen, die keinen Ausweg mehr sehen. Sie haben vielleicht ihre Arbeit verloren, die Ehe ist zerbrochen, plötzlich entgleitet ihnen durch einen dummen Fehler ihr ganzes Leben. Was unsere Fälle so besonders macht, ist die Nachvollziehbarkeit. Die Zuschauer haben das Gefühl: Ja, das kann tatsächlich passieren.

INGO NAUJOKS: Und die Zuschauer fragen sich: Wird es mir in den nächsten zehn Jahren ähnlich ergehen? Werde ich noch einen Job haben, droht auch mir bald Hartz IV? Die Löcher im sozialen Netz, durch die man fallen kann, werden immer größer. Wir sind als Kommissare aber keine Moralgötter, die in jedem Fall wissen, was zu tun ist.

Verbringen Sie auch privat viel Zeit im Norden?

SVEN MARTINEK: Ich bin ich eher der See- als der Bergtyp. Ich mag dieses Fernwehgefühl, das sich an der Küste einstellt, wenn man am Hafen steht und davon träumt, weit hinauszufahren. Ich bin auch gern auf dem Wasser unterwegs, an Bord eines Segelschiffs oder in einem Speedboot. Damit bin ich gerade erst über die Ostsee geheizt.

INGO NAUJOKS: Ich reise oft an die Ostsee. Dort steht das Lieblingshotel meiner Frau. Wir gehen nur kurz über die Straße und schon beginnt der Strand. Im Meer gibt es diese Buhnen aus Steinen und Holzpfählen, dazwischen sehen die Flächen aus wie kleine Schwimmbäder. Man kann dort einen Kilometer weit hinausgehen, steht aber nur bis zum Bauch im Wasser und muss sich daher um die Kids nicht so große Sorgen machen.

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