Interview mit Regisseur Andreas Herzog
Was ist Ihnen als erstes ins Auge gesprungen, als Sie die Drehbücher gelesen haben?
Mir hat auf den ersten Blick gefallen, dass Holger Karsten Schmidt sich traut, Figuren zu entwerfen, die nicht immer logisch handeln, die sogar fast nie logisch handeln. Dennoch ist das, was sie tun, nachvollziehbar und zutiefst menschlich.
Die beiden Ermittler-Figuren Lona und Elling befinden sich in einem existentiellen Ausnahmezustand und müssen gleichzeitig in einem verstörenden Fall ermitteln. Welche Schwerpunkte haben Sie als Regisseur gesetzt?
Das ist ein großes, emotionales Familiendrama und so habe ich es auch inszeniert. Natürlich ist es zugleich ein Thriller über einen unfassbaren Pharma-Skandal, aber der Thriller funktioniert nur über die lange Strecke, weil ich die Figuren Lona und Elling liebe und wissen will, wie es mit ihnen weitergeht. Elling nimmt Schmiergeld an, ohne richtig nachzudenken. Von da an befindet er sich in einer Abwärtsspirale und zieht nicht nur seine Familie, sondern auch seine Partnerin Lona in diesen Strudel hinein. Mir war es wichtig, Figuren zu inszenieren, die der Zuschauer mag, mit denen er sich verbunden fühlt, und das gilt für mich auch für die Bösewichte. Ich muss es lieben, die Bösewichte zu hassen. Auch jemand wie Peters, der Gegenspieler der beiden, muss eine Figur sein, die man immer wieder gerne sieht, obwohl er so böse ist.
Die Kommissare scheinen selbst zu entscheiden, was gerecht ist. Ihr Handeln entspricht dabei nicht unbedingt unserem Rechtsverständnis?
Deshalb haben wir den Film ja gemacht. Es gibt das Recht und die Justiz und das, was jeder Einzelne als gerecht empfindet. In "Die Toten von Marnow" zimmern sich die Bösewichte, aber auch die Guten ihr eigenes Recht. Natürlich fragt man sich, wie viel Selbstjustiz man im deutschen Fernsehen zeigen darf. Aber wir wollten von vorneherein über Ermittler erzählen, die auch nicht ganz sauber sind. Wenn ich sehen will, wie es bei korrekten Polizisten zugeht, kann ich Polizeiberichte lesen. Wir wollten den Zuschauern eine Identifikationsfläche bieten. Sie sollen sich fragen, hätte ich dieses Geld angenommen oder nicht? Wäre ich bestechlich, wenn ich so meine Ehe retten könnte? Wie weit würde ich gehen? Diese Frage stellt sich auch für Lona. Würde ich jemanden vernichten wollen, der mich missbraucht hat? Man kann bei jeder einzelnen Figur in die tiefen Abgründe eintauchen und zusammen mit den Schauspielern erforschen, wie man selber handeln würde.
"Die Toten von Marnow" spielt in Mecklenburg-Vorpommern, zwischen Schwerin und der Mecklenburgischen Seenplatte. Wie hat diese Region die Inszenierung und die Kameraarbeit beeinflusst?
Diese Weite der Landschaft bildet einen spannungsreichen Gegensatz zu der extremen Enge, in der sich die Figuren befinden, dem Druck, unter dem sie stehen. Elling hat sich in seinem Haus und seinem spießigen Beamtenleben regelrecht eingemummelt, und dann sieht man, wie sich Lona und Elling, diese beiden verlorenen, gebrochenen Figuren, durch diese Landschaft, die unberührte Natur im Norden Ostdeutschlands bewegen, die ein großes Geheimnis birgt. Mit dem Kameramann Philipp Sichler haben wir eine eigene Filmsprache entwickelt, die diesen Kontrast erzählt. Wir haben uns entschieden, in Cinemascope zu drehen, weil so die Umgebung immer mitspielt – egal ob man im Wald, auf dem Campingplatz oder in einem Raum ist.
Dieser flirrende Sommer sollte sicher auch einen Kontrast zu den brutalen Verbrechen darstellen?
Das ist ein wichtiger Aspekt. Für mich ist auch immer eine der Überschriften gewesen: "Es geschah am helllichten Tag." Bei der gewalttätigen Szene auf dem Campingplatz zwischen Lona und Peters sieht man Kinder Federball spielen, die Menschen fahren Schlauchboot auf dem See. Das macht es so brutal. Nichts ist, wie es scheint. Die Kulisse ist idyllisch und friedlich. Es ist nicht Berlin mit seiner organisierten Kriminalität. Es ist die Mecklenburgische Seenplatte mit ihren netten Urlaubern, aber unter dieser trügerischen Oberfläche passieren die schlimmsten Sachen.
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