Stefan Will und Peter Hinderthür, Komponisten der Filmmusik
So viel Musik gibt es selten im "Tatort". Ihre Komposition begleitet den Krimi mehr als 40 Minuten lang. Ist "Tödliche Flut" ein Musikfilm?
Es war der Wunsch, für diesen "Tatort" eine Komposition mit der NDR Radiophilharmonie einzuspielen und dabei nicht nur 16 Streicher einzusetzen, sondern das komplette Orchester. Ich habe bei diesem Projekt mit dem Komponisten Peter Hinderthür zusammengearbeitet, den ich als Künstler sehr schätze und der das Orchester gut kennt. Unsere Aufgabe war es anfangs, herauszufinden, wie man die gesamte Philharmonie auf die Bühne bringen kann, ohne den Film musikalisch zu überladen. Es gibt drei große atmosphärische Sequenzen im Film, am Anfang, in der Mitte und am Ende, die der Musik auch wirklich Platz einräumen. Ansonsten hält sich unsere Musik unauffällig im Hintergrund und funkt nicht dazwischen, wenn die Kommissare sprechen. Wir haben ja nicht "Indiana Jones" vertont, sondern einen norddeutschen "Tatort", der eine ganz andere Attitüde hat als eine amerikanische Fantasy-Saga
Sollte Ihre Musik in diesem Fall nicht stärker in den Vordergrund treten?
Ich habe immer das Anliegen, dass meine Musik im Film auch zu hören ist. Aber es gibt aus meiner Sicht nichts Schlimmeres, als wenn man eine Szene mit Musik überdramatisiert. Es ist leicht, mit einem Orchester ein riesiges Drama zu erzählen. Das darf aber nur in einem bestimmten Rahmen passieren, den der Film verträgt. Bei der Mischung hatten wir das Gefühl, es ist uns ganz gut gelungen. Klar, die Musik will sich nicht verstecken, aber sie überfrachtet das Geschehen auch nicht. Wenn der Zuschauer den Film sieht, denkt er hinterher vielleicht: Wie war eigentlich die Musik? Man achtet beim Zuschauen weniger auf die einzelnen Dinge, weil man das gesamte Kunstwerk auf sich wirken lassen möchte.
Haben Sie sich den Film zunächst in voller Länge angeschaut, bevor Sie die Musik komponierten?
Ich fange schon beim Lesen des Drehbuchs an, Themen zu skizzieren. Darüber tausche ich mich dann mit dem Regisseur aus. Sobald die ersten Schnittsequenzen vorliegen, mache ich die Musik, die schon für die Rohschnittabnahme gedacht ist. Weil es sonst passiert, dass im Schnitt irgendwelche Musik aus Hollywoodproduktionen unter die Szenen gelegt wird, die dann nach zwanzig Mal Gucken alle ganz toll finden. Und ich soll dann so etwas Ähnliches schreiben. Ich versuche seit Jahren, das zu vermeiden. Deshalb lege ich früh die Grundstimmung und einige Themen fest.
Für die Grundstimmung sorgen die tiefen Streicher, die in den tiefsten Lagen gespielt werden. Wollten Sie eine möglichst düstere Atmosphäre erzeugen?
Wir wollten zu Beginn eine Atmosphäre der Bedrohung und der Angst aufbauen. Mit einer düsteren Musik, die wir in späteren Momenten immer wieder aufgegriffen haben, wenn es vermeintlich gefährlich wurde. Es ist spannende Krimimusik, die ich hoch emotional finde. Sie ist zwar düster, aber nicht dissonant.
Haben Sie für den Schauplatz Norderney ein eigenes Thema entwickelt?
Wir haben für Norderney ein vergleichsweise melodisches Thema kreiert, mit einem klar erkennbaren Motiv. Es taucht an zwei Stellen auf, das erste Mal, als Kommissar Falke und die Hauptfigur Imke durch die romantisch-wilde Insellandschaft streifen. Es lassen sich auch dissonante Avantgarde-Anmutungen finden, um den Zuschauer nicht zu verlieren, kann man sie aber an einer Hand abzählen. Wir waren beide begeistert darüber, wie das Orchester diese Sachen umgesetzt hat, die sich nur schwer notieren lassen: Einmal spielen alle Musiker ein sehr langsames Vibrato, aber nicht gemeinsam, sondern jeder für sich, so dass eine Art komische dissonante Schwingung entsteht. Die Musiker haben auf Anhieb verstanden, was wir inhaltlich wollten. Mit dem Orchester zu arbeiten, war ein Riesenspaß. Und der Dirigent Christian Schumann hat sich unglaublich gut vorbereitet und viele konstruktive Vorschläge gemacht. Es war eine produktive und genussvolle Zusammenarbeit mit dem Orchester und dem Dirigenten.
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