"Er will es allen beweisen"

Gespräch mit Cem-Ali Gültekin

»Glaube ist nicht Wissen – es ist eine Überzeugung, die in dieser radikalen Form bedingungslose Züge annimmt.«

Rocky (Christoph Letkowski, hinten) mit seiner Geisel Enis (Cem-Ali Gültekin, vorn).
Cem-Ali Gültekin ist Enis | Bild: NDR / Marion von der Mehden

Sie spielen den Islamisten Enis, der ein Attentat plant. Was treibt ihn an?

Der Film gibt viele Hinweise darauf, was ihn im Inneren bewegt. Enis hat früh seine Mutter verloren, und sein Vater ließ ihn spüren, dass er seinen Sohn für einen Verlierer hält. Er trat einer Jugendgang bei, machte krumme Sachen, doch die Anerkennung, die er suchte, blieb ihm versagt. Dann fand er Zuflucht in einer Moschee, so wie viele Jugendliche, er radikalisierte sich und zog in den Dschihad nach Syrien. Jetzt ist er plötzlich jemand und will es allen beweisen. Vor dem geplanten Anschlag in Hannover ruft er seinen Vater an und verabschiedet sich mit den Worten: Ich habe Großes vor. Du wirst stolz auf mich sein. Dass ihm sein Vater keine Vorwürfe macht, sondern sein Herz öffnet und ihn einfach nur bittet, nach Hause zu kommen, bricht seinen emotionalen Panzer auf.

Ihre Figur Enis ist tief verwurzelt in seinem Glauben und handelt aus religiösen Motiven. Wie haben Sie sich diese Seite der Figur zu eigen gemacht?

Während meiner Recherchen habe ich mich auch mit den Hadithen beschäftigt. Das sind Überlieferungen von Dritten über den Propheten Mohammed, auf die sich die Islamisten aber berufen und somit glauben, ihre Handlungen rechtfertigen zu können. Dann braucht man natürlich Vorstellungskraft, die einen spüren lässt, wie stark Gefühle und der Glaube an etwas sein können. Und vor allem welche emotionale Intensität der religiöse Glaube in allen Religionen und in allen Menschen auslösen kann. Glaube ist nicht Wissen – es ist eine absolute Überzeugung, die in dieser radikalen Form bedingungslose Züge annimmt. Als Schauspieler ist hier besonders die Abstraktionsfähigkeit von Emotionalität und Gewaltbereitschaft gefragt.

Schauspieler, so sagt man, begegnen allen Figuren, die sie spielen, mit einer gewissen Zuneigung. Läuft man Gefahr, an einem Terroristen sympathische Züge zu entdecken?

Wenn ich beim Spielen durchschimmern lassen würde, was ich wirklich über Terroristen wie ihn denke, dann könnte ich ihn nicht glaubhaft darstellen. Mit Sympathie hat das gar nichts zu tun. Als Schauspieler will ich erreichen, dass die Zuschauer etwas für meine Figur empfinden. Ich muss den Hass spüren, der in ihm ist, um ihn für die Zuschauer spürbar zu machen. Sie sollen einen Menschen und seine Verletzlichkeit kennen lernen. Auf diese Weise beschönige ich ja nichts. Ich zeige die Entwicklung dieser Figur. Enis geht nach Syrien, lernt arabisch, betet und kämpft, bis er die Erlaubnis erhält, zurück nach Deutschland zu gehen, um den Anschlag zu verüben. Dabei hat er den Anspruch, das Richtige zu tun und Wertschätzung zu erfahren.

Sprechen Sie fließend arabisch?

Meine Vorfahren kommen aus einer Region im Süden der Türkei, die früher zu Syrien gehörte. Dort wächst man zweisprachig auf. Meine Eltern haben diese Tradition in Hamburg Gott sei Dank beibehalten und uns Kinder dreisprachig erzogen. Deutsch ist meine Muttersprache, Arabisch und Türkisch kommen direkt hinterher.

Als Kabarettist machen Sie sich auf der Bühne über das martialische Image der arabischen Sprache lustig. Wenn Sie Inschallah – so Gott will – brüllen, klingt das wie Feuer frei!

Natürlich war es ein Trumpf, dass ich arabisch kann. Jeder Araber und jeder Moslem, der die Gebete spricht, würde es sofort heraushören, wenn sich jemand nur mühsam ein paar Sätze ihrer Sprache angeeignet hätte. Zum Casting wurde ich aber aus einem anderen Grund eingeladen: Die wunderbare Casterin Deborah Congia hatte mich während der Dreharbeiten zum NDR Krimi "Nord bei Nordwest – Der wilde Sven" zufällig in der Schanze mit langem Bart gesehen und meinte gleich: Mensch Cem, wie sieht du den aus? Schick mir ein paar Fotos, ich muss dich unbedingt für eine Rolle vorschlagen. Mit dem Thema Naher Osten beschäftige ich mich schon seit 15 Jahren und als Kabarettist bin ich ja auch politisch unterwegs. Zu wissen, was in der Vergangenheit politisch alles passiert ist, war sicherlich hilfreich, um dieser Figur Tiefe zu geben.

War es Ihre erste Zusammenarbeit mit Regisseur Özgür Yildirim?

Ja, obwohl wir beide aus dem Hamburger Stadtteil Dulsberg kommen und es schon bei seinem ersten Kinofilm "Chiko" fast geklappt hätte. Nach vielen Episodenrollen in "Großstadtrevier" oder "Hafenkante" ist es meine erste Episodenhauptrolle in einem "Tatort", und die Zusammenarbeit war wirklich großartig. Obwohl wir einen straffen Drehplan hatten, nahm Özgür sich ausgiebig Zeit, mit uns über das Buch und jede einzelne Rolle zu sprechen. Dann haben wir am Set probiert, wie die Szenen aussehen könnten. Selbst als die Kameras schon aufgebaut waren, ließ er noch Raum für Improvisationen. Dass Rocky, der Schleuser, Enis eine Ohrfeige gibt, stand zum Beispiel nicht im Drehbuch. Özgür hat die lange Streitszene mit zwei Kameras gleichzeitig gedreht, sodass wir nicht auf Schnittpausen achten mussten und uns komplett fallenlassen konnten. Da ist meinem Kollegen Christoph Letkowski im Affekt einmal die Hand ausgerutscht. Ansonsten herrschte am Drehort die ganze Zeit Harmonie. Weil Özgür ein cooler Typ ist und jederzeit alles im Griff hat.

Der Schleuser hält Enis in einem Keller gefangen. Wie viele Tage haben Sie dort gefesselt zugebracht?

Es waren vier oder fünf Drehtage, in denen ich von morgens bis abends angekettet auf dem Hosenboden saß. In den Umbauphasen bin ich meistens sitzen geblieben, um emotional weiter in der Szene zu bleiben, obwohl der Hintern schmerzte und die anderen einen Cappuccino trinken gingen. Aber mir hat es für meine Arbeit sehr geholfen.

Wird man Sie weiter auf der rollenden Comedy-Bühne sehen?

Na klar. Die ComedyTour ist ja mein Baby. Unsere Bühne ist der Bus. In Hamburg und Berlin trete ich jeweils an einem Wochenende im Monat noch selber auf. Ich bin dann wirklich nah dran am Publikum und lade die Gäste ein, die Show mitzugestalten. Diese Bühne ist ein guter Ausgleich zum Fernsehen. Ob die Rolle im "Tatort" an dieser Arbeitsteilung etwas ändern wird? Ich bin erst einmal gespannt auf die Ausstrahlung.

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