Interview mit Mišel Matičević

"Wenn die Figur auf die Zuschauer verstörend wirkt, hätten wir vieles richtig gemacht"

Roman Eggers (Misel Maticevic)
Was plant Roman Eggers (Misel Maticevic) als nächstes? | Bild: NDR / Christine Schroeder

Sie spielen einen Mann, der eine Frau mit einem Stuhlbein erschlägt und einen anderen mit einem Schraubenzieher ersticht. Warum tötet er?

Seine Motive scheinen unklar. Deshalb wirkt die Figur auch so beängstigend. Roman Eggers bringt zwei Menschen um – nicht weil er bösartig ist, sondern weil es ihm einfach passiert. Er ist kein üblicher "Tatort"-Mörder, der aus einem bestimmten Motiv handelt. Doch er hat seine Gründe. Es hört sich jetzt vielleicht brutal an: Die Frau, sein erstes Opfer, geht ihm auf die Nerven. Sie hängt wie eine Klette an ihm. Und weil er Probleme damit hat, seine Impulse zu kontrollieren, bricht dann urplötzlich die Gewalt aus ihm heraus. Die Szene ist wirklich heftig. Trotzdem könnten die Zuschauer sogar Mitleid mit ihm empfinden.

Haben Sie Mitleid mit ihm?

Als ich das Drehbuch las, ertappte ich mich manchmal bei dem Gedanken, dass er ein sehr verzweifelter Mann ist. Er ist darum bemüht, ein guter Ehemann und ein besserer Vater zu sein. Aber er kriegt durch seine eigene Unfähigkeit nichts auf die Reihe. Man spürt seine tiefe Liebe zu den Kindern, andererseits kann er ihnen gegenüber äußerst rabiat werden. Diese Ambivalenz hat mich sehr fasziniert, sie ist für Schauspieler ein gefundenes Fressen. Wenn die Figur auf die Zuschauer verstörend wirkt, dann hätten wir vieles richtig gemacht.

Wie spielt man einen solchen Gewaltausbruch? Muss man selber ein wenig die Kontrolle aufgeben?

An sich kann eine Gewaltszene nur funktionieren, wenn man seinen Instinkten folgt. Gleichzeitig ist es wichtig, zum Beispiel eine Schlägerei genau zu choreografieren. Niemand will in einen Blutrausch verfallen und den anderen verletzen. Bei Roman Eggers habe ich es so vor Augen gehabt, dass die Gewalt aufgeht wie ein Klappmesser. Auf einmal springt dieses Wilde, Aggressive aus ihm heraus. In einer Szene gerät er mit einem alten Geschäftspartner in dessen Wohnung aneinander. Bis auf das Baby können alle Anwesenden am Ende froh sein, diese Konfrontation überlebt zu haben. In diesem Augenblick wäre er bereit gewesen, jeden einzelnen tot zu schlagen. Ich kann mir solche Menschen vorstellen, es ist erschreckend.

Hat ihr Regisseur Jan Bonny diesen Kampf in einem Stück gedreht?

Ja, dabei ist die Szene wahnsinnig lang. Wir haben sie immer und immer wieder gedreht und zwischendurch geschaut, wohin uns die Aufnahmen führen. Es war einer der härtesten Drehtage bei diesem "Tatort". Ein Nachtdreh im Hochsommer, draußen war es noch weit über 20 Grad warm. Dazu heizten die Scheinwerfer den Raum auf, und die Kamera lief in einer Tour durch.

Ist das Spielen eine besonders intensive Erfahrung gewesen? Haben Sie etwas hervorgeholt, was Sie vielleicht gar nicht kennenlernen wollten, weil es so extrem ist?

Die Figur des Roman Eggers gehört in jedem Fall zu meinen intensivsten Rollen. Nicht jede Rolle geht so tief. Der Mann agiert mit dermaßen viel Wucht und Vehemenz, dass ich abends nach den Drehs immer total erschöpft ins Bett gefallen bin. Ich bin dann meist sofort eingeschlafen, sodass ich nicht lange darüber nachdenken konnte, was die Rolle im Innern mit mir anstellte. Abgesehen davon haben die Drehs großen Spaß gemacht, auch wenn die Psyche danach Urlaub brauchte.

Hängt Ihnen eine Figur lange nach?

Bei solch eindringlichen Rollen benötige ich immer eine gewisse Zeit. Es vergingen einige Tage, bis der Geist des Roman Eggers aus mir herausgetreten war.

Lernen Sie eine Figur beim Spielen erst richtig kennen?

Ich lerne sie in der Vorbereitung kennen, um sie beim Drehen perfekt in mir zu haben. Wenn ich das Wesen einer Figur begriffen habe, laufe ich nicht Gefahr, dass am Set, besonders beim Improvisieren, falsche Sachen entstehen. Für mich gilt, je länger die Vorbereitungszeit, desto besser. Spätestens sobald die Kamera läuft, darf es niemanden auf der Welt geben, der diese Figur besser kennt als ich. Sollte der Regisseur oder der Autor mehr über sie wissen, dann hätte ich im Vorfeld nicht gut genug gearbeitet.

Ist dieser "Tatort" von Männern bevölkert, die völlig aus der Spur geraten sind?

Es gibt ein paar Macherfiguren, die noch den Anschein erwecken, sie wüssten, was sie tun. Die anderen hängen berauscht auf Droge in ihren Zimmern herum. Dazwischen bewegt sich Roman Eggers, ein gedemütigter Mann, der langsam verblasst. Ich finde es mutig und spannend, dass auch der beinahe philosophisch fragende Kommissar mit einigen Störungen ausgestattet ist. Dass Borowski verstehen will, was in dem Täter vorgeht, kann seine Kollegin Brandt überhaupt nicht nachvollziehen. Für sie ist Eggers ein gewöhnlicher Mörder, ein Macker, ein Arschloch. Borowski denkt da wesentlich differenzierter. Ich finde es ganz hervorragend, wie Axel Milberg diesen Ermittler darstellt. Aber auch alle anderen Kolleginnen und Kollegen haben großartige Perfomances hingelegt.

Hat Ihnen der Regisseur freie Hand gelassen?

Jan Bonny hat mir beim Drehen sehr viel Platz gegeben. Das ist mir sehr wichtig. Damit ich mich ausleben kann, brauche ich Freiraum, wie ein wildes Pferd. Bonny hat wahnsinnig viele Ideen und einen sehr genauen Blick. Er ist sehr fordernd, strahlt am Set aber eine unglaubliche Ruhe aus. Und er hat einen großartigen Kameramann mit sensibler Energie an seiner Seite. Jakob Beurle hat viel mit Steadicam und Handkamera gedreht. Er war immer nah dran am Geschehen, aber nie aufdringlich. Man spürte ihn kaum. Er hat den Film toll fotografiert. Ich würde jederzeit wieder mit den beiden drehen.

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