Interview mit Florence Kasumba

Anaïs Schmitz (Florence Kasumba)
Florence Kasumba in ihrer Rolle als Anaïs Schmitz. | Bild: NDR / Christine Schroeder

Zur Rolle

Ihr Selbstbewusstsein und ihr Standing im Polizeipräsidium Göttingen hat sich Kriminalkommissarin Anaïs Schmitz hart erarbeitet. Die Eltern flohen mit ihr aus Uganda und landeten im Ruhrgebiet. Bochum, ein Kulturschock. Anaïs wuchs mehr oder weniger auf der Straße auf. Ohne Exoten-Bonus wurde sie genauso oft verprügelt wie die anderen Kinder. Aber sie hatte Talent: Sport, Tanz und Gesang. Der Traum von einer Showkarriere platzte, als ihre Eltern nach Afrika zurückkehrten – und sie alleine zurück ließen. Ihr ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit brachte sie an die Polizeiakademie Hiltrup. Doch das weltoffene Klima der Landespolizeidirektion schlug schon kurz nach ihrem Abschluss um. Da fing es an mit den Aggressionsschüben. Anaïs wechselte die Dienststellen und kam nach Göttingen – Gebrüder Grimm, Märchen, ein Präsidium bevölkert von gestiefelten Katern und Fröschen. Einen von ihnen, den Rechtsmediziner Nick Schmitz, warf sie erst ein paarmal gegen die Wand. Dann wurde er ihr Prinz.

»Mir wurde beim Spiel sehr viel Freiraum gegeben. Diese Chance habe ich genutzt«

Gespräch mit Florence Kasumba

Sie haben in internationalen Hollywoodproduktionen wie "Black Panther" oder "Avengers: Infinity War" mitgewirkt. Was reizt Sie am typisch deutschen "Tatort"-Format?

Mich reizen die Geschichten, die unterschiedlichen "Tatort"-Kommissare und die Art und Weise, wie die Ermittler den Tätern auf die Spur kommen.

Seit der Bekanntgabe Ihrer Rolle als "Tatort"-Kommissarin wird in den Medien über Ihre Hautfarbe geredet. Ist das ein Indikator dafür, wie wenig selbstverständlich Vielfalt im deutschen Fernsehen ist?

Es ist ein Indikator dafür, dass Deutschland für diese Idee und für die Veränderung in der Medienlandschaft bereit ist. Das gefällt mir.

Wie würden Sie die Kommissarin Anaïs Schmitz charakterisieren?

Anaïs Schmitz ist eine souveräne Ermittlerin mit einem guten Verhältnis zu ihren Kollegen. Ihre Schwäche: Ihr Temperament geht manchmal mit ihr durch.

Auffällig ist, wie durchsetzungsfähig, aber auch aggressiv Anaïs Schmitz agiert. Wird hier ein neues, manchmal auch unbequemes Frauenbild entworfen?

Ich finde das Bild der Frau, die sich durchsetzt, gar nicht neu. Besonders in Berufen, die von Männern dominiert werden. Frauen müssen besonders im Sicherheitsbereich aggressiver auftreten, weil sie oft nicht ernst genommen werden. Mir wurde beim Spiel sehr viel Freiraum gegeben. Diese Chance habe ich genutzt und das Ergebnis ist eine Ermittlerin mit einer gewissen Festigkeit.

Sie ermitteln gemeinsam mit Charlotte Lindholm. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?

Die Figuren: Beide sind sehr erfahrene Kommissarinnen, die sich erst einmal an eine Zusammenarbeit gewöhnen müssen, was den beiden anfangs schwer fällt. Es stellt sich aber schnell heraus, dass sie einen ähnlichen Ermittlungsstil haben und mit der Hilfe der Göttinger Kollegen bilden sie ein gutes Team.

Maria und ich: Ich arbeite sehr gerne mit erfahrenen und selbstbewussten Kolleginnen. Im Gegensatz zu Charlotte und Anaïs hatten wir von Anfang an einen sehr respektvollen Umgang miteinander. Ich mag Marias Professionalität, ihre ruhige Arbeitsweise und ihren Humor. An meinem letzten Abend haben wir uns bei der Verabschiedung umarmt. Das war ein schönes Gefühl, weil ich wirklich jeden Drehtag mit ihr genossen habe. Ich freue mich auf unseren nächsten gemeinsamen Fall.

Charlotte Lindholm begeht gleich am Anfang einen peinlichen Fehler, weil eine dunkelhäutige Kommissarin offenbar ihr Vorstellungsvermögen übersteigt – ein typischer Fall von Alltagsrassismus, der auch Ihnen manchmal begegnet?

In der besagten Szene betritt Charlotte den Tatort, trifft auf ihre neuen Kollegen und sieht Anaïs Schmitz als einzige im weißen Kittel mit Eimer in der Hand. Charlottes Vermutung, dass es sich hier um eine Tatortreinigerin handelt, finde ich nicht schlimm. Anaïs sieht das jedoch anders und reagiert dementsprechend launisch. Manchmal erlebe auch ich Alltagsrassismus, aber ich habe gelernt, gelassen damit umzugehen. Oftmals hilft ein aufklärendes Gespräch.

Privat praktizieren Sie chinesische Kampfkunst. Werden Sie diese Fertigkeit auch im "Tatort" einsetzen?

Mich faszinieren die unterschiedlichen Kampfstile. Bei meinem Training im Shaolin Tempel Deutschland übe ich Formen, kurze Choreographien und den Umgang mit traditionellen Waffen. Meine Kampfkunstkenntnisse wären auf jeden Fall hilfreich, wenn Anaïs Schmitz sich in zukünftigen Folgen verteidigen müsste.

Ihr erster Fall handelt von einer 15-Jährigen, die ihre Schwangerschaft verdrängt. Was hat Sie an der Geschichte interessiert?

Die Tatsache, dass die junge Frau ihre Schwangerschaft nicht bemerkt hat und dass es niemandem in ihrem Umfeld aufgefallen ist, hat mich sehr gepackt.

Anaïs Schmitz steht dem Fall anfangs sehr distanziert gegenüber. Ist das eine professionelle Haltung oder hat sie Probleme, Gefühle zuzulassen?

Anaïs wäre selbst gerne Mutter, und das Thema Schwangerschaftsverdrängung ist ihr fremd. Deshalb hat sie kein Verständnis dafür, dass der jungen Frau die typischen Schwangerschaftsmerkmale nicht aufgefallen sind. Ihr geht der Fall sehr nah. Ihre Kollegen, die ihren Kinderwunsch kennen, bemerken schon in der Turnhalle, dass dieser Fall eine Herausforderung für sie ist. Natürlich bemüht sich Anaïs, ihre professionelle Haltung zu bewahren und ihre Gefühle vor der neuen Kollegin zu verstecken. Leider ohne Erfolg.

Ist das der Grund, warum sie Charlotte Lindholm anfangs bei den Ermittlungen ausbremst, oder ist es der großen Überheblichkeit geschuldet, mit der Charlotte Lindholm den Kollegen in Göttingen begegnet?

Anaïs hat sich ihre neue Kollegin nicht ausgesucht. Sie weiß, warum Charlotte Lindholm strafversetzt wurde, und fände es wünschenswert, wenn sie sich etwas mehr zurücknehmen würde. Schließlich ist das Göttinger Team bisher gut ohne sie ausgekommen.

Wie hat das neue Team bei den Dreharbeiten zusammengefunden?

Die Atmosphäre am Set war von Anfang an sehr locker. Ich hatte zuvor mit niemandem vom Team gedreht und habe mich sehr gefreut, mit Kollegen zu arbeiten, die ich sonst nur als Zuschauerin aus anderen TV-Serien und Filmen kenne. Ich mochte besonders die Drehtage im Präsidium. In den daraus entstandenen Szenen werden die Zuschauer einen guten Eindruck davon erhalten, wie fließend das Team Göttingen zusammenarbeitet.

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