Im Gespräch mit Regisseurin Nicole Weegmann
Frau Weegmann, Ihr "Tatort" konfrontiert ein Millionenpublikum mit einem Phänomen, das den meisten Zuschauern völlig neu sein dürfte: den Frauenhass junger weißer Männer im Internet. War Ihnen diese Subkultur vorher bekannt?
Ich habe mich mit Unterstützung der Drehbuchautoren auch erst einmal in das Thema einarbeiten müssen. Peter Probst und Daniel Nocke haben mir die Türen zu den geschlossenen Chatgruppen aufgestoßen und mich in tiefe menschliche Abgründe blicken lassen. Diese Onlineforen sind ein Sammelbecken für verlorene Gestalten, die sich irgendwie auf den Antifeminismus als kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt haben.
Mir war vor unserem "Tatort" nicht in dem Maße bewusst, dass Frauenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft noch für Massen konsensfähig ist und dass sich damit so viele Männer in Bewegung setzen lassen, indem man an ihre Instinkte appelliert. Naiv wie ich bin, hatte ich gehofft, dass sich die Männer damit angefreundet haben, dass Frauen gleich viel wert sind und es doch ganz schön ist, dass diese auch so viel drauf haben. Meine Generation hat diese neue Frauenfeindlichkeit noch gar nicht auf dem Zettel. Jede Frau, der ich von unserem Film und den realen Hintergründen erzählt habe, war total erschrocken.
Der Film macht auf die enge Verbindung zwischen Antifeminismus und rechtem Terror aufmerksam. Wird diese Gefahr unterschätzt?
Tatsächlich trifft es zu, was Borowski im "Tatort" sagt: Für die rechtsextremistischen Attentäter von Halle, Hanau, Christchurch und Oslo war auch der Hass auf Frauen ein Motiv. Das Profil der Täter weist Parallelen auf. Der Antifeminismus ist quasi eine weitere Baustelle der rechtsextremen Szene, gehört bei den meisten Radikalen sozusagen mit ins Portfolio. Diese Zusammenhänge sind der breiten Öffentlichkeit in Deutschland überhaupt nicht bekannt.
In angelsächsischen Ländern gibt es dafür schon längere Zeit ein Bewusstsein. Die englischsprachige Presse hat den Attentäter von Hanau sofort unter dem Label "Involuntary Celibates",verkürzt Incels, einsortiert: Die rechte Szene hat sich dieser Milieus schon lange angenommen, indem sie entsprechende Foren im Internet unterwandert und radikalisiert. Wir erleben heute, dass die Incels aus dem Dunkel des Internets treten und zur Tat schreiten. Die Gefahr ist real. Und es sind viele.
Wie macht man aus diesem Stoff einen spannenden Krimi?
Wir wollten das Thema in seiner ganzen Komplexität abbilden. Dazu brauchten wir eine Reihe von Nebenfiguren. Als Regisseurin beschäftige ich mich gern ausführlich mit einzelnen Charakteren und deren Konflikten und gehe auch sehr in die Tiefe. Aber hier konnte ich nicht lange auf den Figuren verweilen. Ich musste in schnellen Strichen inszenieren, denn wir hatten viel zu erzählen. Die Dimension des Themas, das sich nach und nach enthüllt, ist das Spannende und auch Beängstigende. Es war mir wichtig, das Milieu und die Figuren glaubhaft zu inszenieren – auch wenn man kaum glauben kann, was diese Jungs von sich geben, und wie sie drauf sind.
Im Zentrum steht das Drama des schüchternen Außenseiters Mario Lohse, der sich im Internet radikalisiert. Ist er ein typischer Incel?
Mario Lohse ist ein prototypischer Fall. Ich wollte die Figur mit Empathie erzählen, ihn spürbar machen. Auf der anderen Seite wollte ich ihn nicht verharmlosen. Er ist nicht das liebe Kind, das leider kein Mädchen gefunden hat, sondern eine tickende Zeitbombe. Lohse handelt als Einzeltäter, aber ohne die Nestwärme, die er im Internet findet, ohne das gegenseitige Bestätigen, das Abrichten und Aufhetzen in den rechten Foren würde er nicht so weit gehen, Gewaltaktionen auszuüben. Ich halte diese zügellosen, komplett unkontrollierten Parallelwelten, in die Lohse abtaucht, für ein ernstes Problem. Da passiert ein Rollback, ohne dass es in der Gesellschaft einen offenen Austausch darüber gibt, in dem man Behauptungen entkräften oder bestimmte Leute einnorden könnte.
Kommissarin Mila Sahin muss sich bei ihren Ermittlungen gegen Anfeindungen wehren. War es Ihnen wichtig, auch die alltägliche Diskriminierung zu zeigen?
Ich wollte das Thema auf allen Ebenen des Films spiegeln. Sogar bei moderaten Herren sind ja manchmal Eigenschaften zu beobachten, die eindeutig frauenfeindlich sind. Deswegen gehören sie nicht zwangsläufig zu den schlechten Menschen, aber es gibt insbesondere beim Staatsschützer großen Verbesserungsbedarf. Mila Sahin hat eine Vorgeschichte mit diesem Beamten aus Berlin und nimmt die Anfeindungen nicht auf die leichte Schulter. Er kanzelt sie als "Liebste" ab, er schaut sie nicht an, wenn er mit ihr spricht, und wendet sich mit Fragen immer nur an Klaus Borowski. Es sind die typischen Muster eines frauenfeindlichen Verhaltens, die er drauf hat.
Es ist schön zu sehen, wie Klaus Borowski sich auf die Seite seiner Kollegin schlägt — und wie bewegt er den Fall angeht. Ist der Kommissar ein Feminist?
So wie er agiert, ist Klaus Borowski ein Feminist. Er ist ein moderner, unfassbarer kluger und humorvoller Mann, der schon lange erkannt hat, dass der Feminismus auch sein Leben bereichert.
Sind Sie jemals in der Frauenbewegung aktiv gewesen?
Was die Emanzipation betrifft, bin ich glücklicherweise sehr liberal erzogen worden, und ich hatte in meinem Leben nie das Gefühl, dass mir von Männern Steine in den Weg gelegt werden. Das verdanke ich natürlich der Frauenbewegung der 70er-Jahre, die sehr viel für die nachfolgenden Generationen geleistet hat. Die Arbeit an diesem Film hat mir aber deutlich gemacht, wie wenig die Gleichberechtigung im Bauch der Gesellschaft angekommen ist und dass wir sogar Gefahr laufen, hinter das Erreichte zurückzufallen. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich diesen Film drehen konnte. Bislang hatte ich von der Frauenbewegung nur profitiert und nicht wirklich etwas getan für ihr Fortkommen. Jetzt konnte ich als Regisseurin auch einmal einen Beitrag leisten. Ich hoffe, dass der Film die Zuschauer mitnimmt, aufrüttelt und ein Bewusstsein dafür schafft, dass noch viel Arbeit vor uns liegt.
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