Interview mit David Wnendt (Drehbuch und Regie)

"Ich versuche, einen eigenen Zugang zum Format des 'Tatorts' zu finden“

David Wnendt bei der Premiere des Kinofilms
David Wnendt  | Bild: dpa / Ralf Harde

Ihr Debüt "Kriegerin", danach "Feuchtgebiete" und "Er ist wieder da": kontrovers diskutierte, sehr erfolgreiche Kinofilme. Wer oder was hat Sie verlockt, Ihren erst vierten Film beim Kieler "Tatort" zu machen?

Axel Milberg ist schuld. Bei den Dreharbeiten von "Feuchtgebiete", also schon vor einigen Jahren, hat er mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, einmal beim Kieler "Tatort" Regie zu führen. Da ich Krimis generell mag, war das eine verlockende Option. Zunächst war ich aber noch in andere Projekte involviert. Letztes Jahr war es dann soweit, dann hieß es für mich: Jetzt oder nie.

Borowski und Brandt gehören zu den profiliertesten Ermittlerteams beim "Tatort". Axel Milberg hat seine große treue Fangemeinde, einige Folgen der Reihe sind Krimi-Klassiker geworden. Überwiegt da beim ersten Stelldichein der Respekt oder die Neugier?

Beides. Ich hatte mir im Vorfeld viele Folgen von Kommissar Borowski angesehen. Die Figurenzeichnungen und –konstellationen fand ich sehr spannend. Daraus entstand Vorfreude, mit und an diesen Figuren zu arbeiten.

Sie haben nicht nur Regie geführt, sondern auch beim Drehbuch mitgewirkt. Dem fertigen Film merkt man keine Berührungsängste eines Krimi-Neulings an: Naturtalent oder hartes Training hinter verschlossenen Türen?

Mich hat die Lust angetrieben, mich an diesem Genre zu probieren. Dabei habe ich nie nachgedacht, ob ich das kann oder nicht.

Wie sind Sie auf das Thema "Darknet" gestoßen?

Ich habe mich seit langem für das Thema interessiert. Zunächst aus reiner Neugierde habe ich Artikel beispielsweise über die "Silkroad" gelesen, mir selbst den Tor-Browser runtergeladen und diese ganz neue Welt erforscht. Die Existenz eines rechtsfreien virtuellen Raums war faszinierend. Auch Geschichten der Menschen, die dahinterstecken, wie der Aufstieg und Fall des Dreadpirat Roberts, dem Betreiber der Silkroad, fand ich sehr spannend. Viel Stoff, der sich auch für eine filmische Umsetzung anbietet.

"Darknet" – der Name ruft lauthals nach Krimi und Horror. Sie erweitern die Palette aber noch um Anleihen bei anderen Genres. Was ist Ihre Absicht dahinter?

"Borowski und das dunkle Netz" sollte trotz des düsteren Klangs kein bierernster Sozialproblem-"Tatort" werden. Ich wollte mit einer gewissen Leichtigkeit und mit Humor erzählen. Das "Darknet" soll nicht verteufelt oder als magische Horror-Blackbox beschrieben werden. Ebenso wichtig war mir, die veränderten Bedingungen für die Polizeiarbeit zu beleuchten. Das Internet und andere digitale Technologien ermöglichen neue Arten von Verbrechen, bieten aber auch der Polizei neue Strategien und Instrumentarien. Diese Instrumentarien, wie die Auswertung von Handydaten, können bei allen Verbrechen eingesetzt werden, vom Fahrraddiebstahl bis zum Anschlag. Es ist ein Fortschritt, eine Umwälzung der Polizeiarbeit, wie es vielleicht bei der Entdeckung des Fingerabdrucks war.

In einem Interview vor den Dreharbeiten haben Sie angekündigt, dass "Borowski und das dunkle Netz" die Zuschauer polarisieren wird. Sieht man den fertigen Film, scheint sich die Prophezeiung zu bewahrheiten. Wie fordern Sie das Publikum heraus und warum?

Ich versuche, einen eigenen Zugang zum Format des "Tatorts" zu finden, ohne dabei besonders provokant auftreten zu wollen. Ich verweigere mich keineswegs dem Krimi. "Borowski und das dunkle Netz" ist ja auch ein "Whodunnit?", aber es gibt neben der Spannung eben auch einen leichten Humor und einen freien Umgang mit filmischen Mitteln. Es ist so eine eigene fiktive Welt entstanden, die vielleicht nicht den Erwartungen von jedem einzelnen entspricht. Beim "Tatort" gibt es viele Gewohnheitsseher, die womöglich enttäuscht sein werden. Die einen wollen einen 0815-"Tatort", den anderen wird mein Film zusagen.

Am Ende des Nachspanns wird ein Krimi aber immer nur an der alles entscheidenden Frage bemessen: War er spannend? "Borowski und das dunkle Netz" gibt da eine klare Antwort: Ja. Haben Sie filmische Vorbilder eingebracht, die Sie immer wieder an das Urgesetz erinnert haben?

Vorbild ist ein zu großes Wort. Es gibt eine Reihe von Polizeifilmen, die mir gefallen. Es wäre aber vermessen zu sagen, ich habe versucht, da heranzukommen. Wenn, war es "L.A. Confidental", den ich irgendwo im Hinterkopf mit mir trug. Der Film zeigt auf großartige Weise, wie komplex ein Figurengeflecht und die Geschichte eines Verbrechens sein kann, ohne dass der Film an Spannung oder Verständlichkeit verliert. "L.A. Confidental" hat mich ermutigt, auch beim "Tatort" mit einer gewissen Komplexität zu erzählen.

Weil das "Darknet" womöglich den meisten Zuschauern noch unbekannt ist, müssen Sie als Regisseur auch einige Aufklärungsarbeit leisten. Sie haben einen originellen Weg gefunden, wie kam es dazu?

Durch die zahlreichen Berichterstattungen zum Thema haben bestimmt manche Zuschauer den Namen "Darknet" schon einmal gehört. Aber viele dürften nicht genau wissen, was dahinter steckt. Meine Maßgabe war, sich dem Erklärungsbedarf mit bunten erzählerischen Mitteln zu stellen und nicht alles in infolastige Dialoge zu stecken. Der Zuschauer soll unterhalten werden, aber auch etwas mitnehmen aus diesem Tatort.

Satire ist eines Ihrer Stilmittel, das die Wirklichkeit überspitzt, um sie zu entlarven. Gerade die Welt des LKA, Abt. Cybercrime, bekommt ihr Fett ab. Wieviel Realität lugt hinter der Überzeichnung hervor?

Es stand nicht im Vordergrund, das LKA durch den Kakao zu ziehen. Es sollte eher ein gutmütiger Humor sein, bei dem man über die Figuren lachen oder schmunzeln kann, ohne dass die Figuren verraten werden. Überzogen haben wir insofern, als die neue Cybercrime-Abteilung in einer riesigen Halle untergebracht ist, wo nur zwei Menschen arbeiten, um deutlich zu machen, wie sehr noch am Anfang und unterbesetzt die sind. In der Realität – ich habe diese spezielle LKA-Stelle in Kiel besucht – sitzen die jungen Beamten in normalen Büros, sind von der Personalstärke aber ungefähr so, wie wir es zeigen. Das heißt, die Beamten haben ein ähnliches Problem wie im "Tatort". Es gibt ein gewaltiges neues Instrumentarium, aber gar nicht genug Personal, es umfassend anzuwenden. Ein Problem ist die schiere Masse an Daten und Fotos, die man beispielsweise von einem einzelnen Handy herunterlesen kann. Es gibt in Deutschland keine unbegrenzten Mittel wie in der amerikanischen NSA, um wie "Big Brother" mit Tausenden von Beamten zu arbeiten.

Das Darknet steckt voller Verrückter und bedrohlicher Technikwaffen, zu guter Letzt setzt sich aber die alte Polizistenschule durch. Liegt in dieser Rückbesinnung Ihre Antwort auf eine zunehmend beängstigende, weil undurchdringliche Gegenwart?

Weil die Gegenwehr so beschränkt und das Datenmeer gleichzeitig so unübersichtlich ist, wird aber auch der Ermittler immer wichtiger. Erst durch seine Intuition, seine Erfahrung mit der Natur des Menschen, seine Erfahrung mit Verbrechen kann er Daten deuten und die richtigen Schlüsse ziehen.

Dazu muss aber, wie in Ihrem Film, das Verbrechen überhaupt erst heraustreten in die Realität.

So anonym das "Darknet" auch ist: Es gibt bei Verbrechen im Netz immer eine Verbindung zur physischen Wirklichkeit. Man kann Drogen virtuell bestellen. Aber ihre Herstellung, ihre Verschickung, ihr Konsum geschieht in der realen Welt. Genauso will man die virtuellen Bitcoins zu echtem Bargeld wechseln oder sie zumindest als Euros auf dem normalen Bankkonto haben. Diese Schnittstellen mit der physischen Realität sind immer Chancen für die Polizei.

Nach all Ihrer intensiven Beschäftigung mit den Abgründen: Was ist das "Darknet" für Sie?

Es ist mir ein Bedürfnis, die helle Seite des "Darknet" hervorzuheben: Gerade in unserer heutigen Zeit muss die Möglichkeit zur anonymen Kommunikation geschützt werden. Über das Tor-Netzwerk haben Journalisten oder Dissidenten die Chance zu kommunizieren, ohne ihr Leben oder ihre Freiheit aufs Spiel zu setzen. Diese Freiheit ist unbedingt schützenswert – und dafür muss man auch einen Missbrauch in Kauf nehmen.

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