Gespräch mit Anika Wangard (Drehbuch) und Eoin Moore (Drehbuch und Regie)

Jo Mennecke (Bela B Felsenheimer) hat seine besten Tage als Rockstar gesehen (mit Anneke Kim Sarnau und Josef Heynert)
Jo Mennecke hat seine besten Tage als Rockstar gesehen  | Bild: NDR / Sandra Hoever

„Keiner von uns“ setzt eine Zäsur. Mit Sascha Bukow verschwindet eine zentrale Figur aus dem bisherigen Gefüge des Rostocker „Polizeiruf 110“. Was bedeutete das für Sie als Autor*innen?

Eoin Moore: Wir haben uns gefragt: Wie wollen wir uns von Bukow verabschieden? Das war die Aufgabe. Die Art des Abschieds sollte etwas mit Bukow zu tun haben, sie sollte sich aus der inneren Logik der Figur ergeben. Und das führte dazu, dass wir ganz konkret zurückgegangen sind zu dem, was bislang erzählt wurde.

Anika Wangard: Der leitende Gedanke war, den Konflikt zuzuspitzen, der von Anfang an in der Figur Bukow angelegt war. Drama lebt immer von einer inneren Zerrissenheit, davon, dass ein Engel und ein Teufel in einer Seele wohnen, die sich gegenseitig bekämpfen. Das hat Bukow par excellence in sich. Er ist Polizist, aber er hat von Kindesbeinen an das Milieu aufgesaugt, er hat die Codes und die Mechanismen der Illegalität in seiner DNA. Und einen größeren Konflikt, als aus diesem Milieu zu stammen und Kriminalkommissar zu sein, kann man nicht haben. Das war also unser Leitmotiv – dass die Frage, ob er noch zum Rostocker Kriminellen-Milieu dazugehört oder nicht, ihn in ein schreckliches Dilemma stürzt. Dieses Thema wird gleich in der ersten Szene etabliert, in der Tito zu ihm sagt: „Dein Vater hat immer gehofft, dass du irgendwann auf die richtige Seite wechselst.“

Wie schon am Titel erkennbar, schlägt „Keiner von uns“ einen Bogen zurück zum Anfang der Reihe, zu den Fällen „Einer von uns“ und „Feindbild“. Aber Sie greifen auch andere Fäden wieder auf und schlagen neue Funken daraus. Wie hat sich das ergeben?

AW: Das ist eigentlich eine typische Serien-Arbeitsweise. Man schöpft aus dem, was man angelegt hat, und maximiert das beziehungsweise holt da so viel heraus wie möglich. Das war auch hier unsere Herangehensweise.

EM: Das sind so Bälle, die man wirft. Man fragt: Was wäre, wenn, und schaut, was sich daraus ergibt. Also haben wir uns noch einmal angeschaut, welche Bälle wir in all der Zeit schon geworfen hatten. Und zum großen Finale ist es uns dann tatsächlich gelungen, viele davon gleichzeitig in der Luft zu halten. Letztlich war das auch gar nicht so schwer, weil die schon geworfenen Bälle alle bereits auf einer Kurve waren. Wie es weitergehen musste, ergab sich aus der Logik der vorher erzählten Geschichten. Das waren sehr schöne Momente, in denen sich dieser über die Jahre angelegte Erzählkosmos als sehr fruchtbar erwies.

Als Clubbesitzer Tito, eine zentrale Figur des Rostocker Milieus, tot aufgefunden wird, gerät zunächst der Musiker Jo Mennecke in Verdacht. Welche Funktion übernimmt dieser Erzählstrang für Sie?

EM: Die Geschichte, die wir hier erzählen, ist insgesamt so ein geschlossener Kosmos. „Keiner von uns“ spielt in der Welt von Bukow und seiner Rostocker UndergroundVergangenheit, und es tauchen ein paar Figuren aus alten Folgen wieder auf. Damit ist der Film im Prinzip eine Hommage an das Format, wie es bisher gewesen ist. Mit dem Musiker Jo Mennecke, der gerade in Rostock gastiert, brechen wir aus diesem kleinen Kosmos aus und schaffen die Möglichkeit, dass die Antwort auf den Fall auch jenseits der kleinen in Frage kommenden Gruppe liegen könnte.

Sie haben mit Bela B eine sehr prominente Besetzung für die Rolle gewählt. Warum?

EM: Wir wollten entweder einen Schauspieler mit einem echten musikalischen Talent oder einen echten Musiker, damit durch ihn wirklich etwas anderes, eine andere Welt repräsentiert wird. Wenn ich den anschaue und direkt weiß, das ist ein berühmter Musiker, dann ist das schon gesetzt. Dann kann ich mich als Regisseur auf die kleinen Unterschiede konzentrieren wie zum Beispiel darauf, dass wir sagen, das ist kein Mitglied der Ärzte, der spielt wirklich eine andere Musik, die geht eher in die Richtung von Altrock und nicht in die Richtung von Spaßpunk wie bei den Ärzten. Bela war damit einverstanden, dass wir einen völlig anderen Typ als „Bela B“ aus ihm machen. Die Zusammenarbeit mit ihm hat viel Spaß gemacht. Er ist ein sehr angenehmer Mensch und hat seine Aufgabe wirklich ernst genommen.

Der Fall nimmt eine dramatische Wendung. Zoran Subocek, der Bukow früher bereits schwer zugesetzt hat, kehrt zurück, um sich zu rächen. Die Figur ist ein wandelnder Albtraum. Wie haben Sie sie entwickelt?

AW: Subocek gewinnt hier ein schärferes Profil als bei seinem ersten Auftritt in „Feindbild“. In der Gegenüberstellung von ihm und dem jungen, aufstrebenden Kriminellen aus Rostock, der sich „der Falke“ nennt, konnten wir sehr schön die Kontraste herausarbeiten. Wie funktioniert jemand, der gewissenlos ist, aber jung und unerfahren? Und wie funktioniert jemand, der gewissenlos und dabei auch noch sehr erfahren ist? Das hat uns geholfen, die Figur Subocek noch mal schärfer zu zeichnen. Er denkt sehr strategisch und trifft superbrutale, kaltblütige Entscheidungen.

EM: Aleksandar Jovanonic hat viel zur Gestaltung seiner Rolle beigetragen. Es stand früh fest, dass er besetzt wird, weil er auch in „Feindbild“ diese Rolle hatte. Aleksandar ist ein Schauspieler, der sich viele Gedanken über seine Rollen macht. Er hat uns ein Tagebuch von Subocek aus dem Gefängnis geschickt, ein ganzes Notizbuch voll mit Gedanken und Ideen, die in unsere Arbeit eingeflossen sind. Subocek hat sich zu einem ruhigeren, zurückhaltenderen Typen entwickelt, der dadurch aber nur noch perfider wirkt. Er kommt nicht polternd aus dem Knast, sondern ist deutlich älter und reifer geworden und hat eine Menge Hass angesammelt.

Durch die Verflechtung der Geschichten um Subocek und Guido Wachs werden die Ermittler*innen von den Fehlern der Vergangenheit eingeholt. Bukow fühlt sich derart in die Enge getrieben, dass alte Reflexe in ihm wachwerden.

EM: Wir sehen, wie er allmählich auf die dunkle Seite kippt. Bukow hat den Instinkt seines Vaters, der sagt, ich regele das alles auf meine Art. Ich komme schon klar. Und er trifft dann diverse Entscheidungen. Die erste davon ist die Entscheidung, Katrin König nichts zu erzählen, nicht ans Telefon zu gehen, wenn sie anruft. Die Frau anzulügen, die er liebt.

Katrin König ahnt nicht, was sich im Hintergrund zusammenbraut. Sie kämpft gegen alte Ängste. Dass Bukow und sie jetzt zusammen sind, erweist sich in keiner Weise als Lösung aller Probleme. Was war Ihnen hier wichtig zu erzählen?

EM: Wir wollten in diesem letzten Film alle Konflikte zu einem Höhepunkt führen; alle Konflikte sollten sich an einem Punkt treffen. Also haben wir uns gefragt: Was ist die konsequente Entwicklung dieser Beziehung? Es war ja von Anfang an klar, dass Bukow und König als Paar nicht wie ein herkömmliches Pärchen funktionieren.

AW: Wir haben ja immer erzählt, dass König keine Frau ist, die sich groß bindet. Sie hat ein gestörtes Verhältnis zu Beziehungen. Aber jetzt hat sie sich auf Bukow eingelassen und hadert mit sich, weil sie ihm nicht vertrauen kann. Sie fragt sich: „Bin ich falsch oder ist er falsch? Bin ich das Problem oder er?“ Was dann schließlich in diesem Antrag kulminiert.

Eine wunderbar schräge und intensive Szene, in der ein Happy End als Möglichkeit aufblitzt, obwohl wir als Zuschauende schon ahnen, dass daraus nichts werden wird.

EM: So einen widerwilligen Heiratsantrag hat man ja selten gesehen. (lacht) So: „Ach, ich hasse mich im Prinzip selber dafür, wie ich bin, aber ich muss das jetzt überwinden.“ Wir holen die Figur aus ihrer Komfortzone und sehen Katrin König, wie wir sie noch nie erlebt haben. Sie sagt zum ersten Mal wirklich „Ja“. Und zeigt dabei aber sehr deutlich, wie sehr sie über ihren eigenen Schatten springen muss.

AW: Diese Szene ist für uns der dramaturgische Mittelpunkt des Films. Wir sehen, dass Bukow sich auf gefährliche Abwege begibt, und gleichzeitig kommt König auf ihn zu und fragt: Willst du mich heiraten? Sie lädt ihn dazu ein, auf die gute Seite zu kommen, für immer. Diese Einladung steht also auch im Raum.

Aber der Teufel hat die lautere Stimme?

EM: Eigentlich dachten wir alle, Bukow wäre auf einem guten Weg im Vergleich zu dem, was er am Anfang war. Jetzt lassen wir ihn noch einmal sehr extrem um den Block gehen und sich fragen, was bist du für einer? Engel oder Teufel? Du hast beides in dir drin, aber du musst dich entscheiden. Und er merkt, dass er sich von seiner Verwurzelung in der Gaunerwelt nicht befreien kann. AW: Aber er will auch das Gute in seinem Leben damit retten, dass er den Teufel benutzt. Das ist ein schreckliches Dilemma. Seine Motivation war immer eine gute.

Die Zusammenarbeit mit Bukow hat in Katrin König viele Spuren hinterlassen. Wie entlassen Sie die Profilerin? Was wird jetzt aus ihr?

EM: König wird ohne Bukow klarkommen, das ist klar. Aber sie wird jetzt erstmal schauen müssen, wer sie ohne Bukow ist. Und es ergibt sich die Chance, wieder eine völlig neue Seite von König zu entdecken. Sie muss nicht die ganze Zeit halb verliebt und halb erschrocken auf ihren Kollegen gucken, sondern es kann eine völlig neue Konstellation entstehen. Wie wir alle wissen, sind wir anders drauf, wenn wir neue Freunde oder neue Partner kennenlernen, und die gleiche Rolle noch mal in einer völlig anderen Konstellation zu spielen, ist eine fantastische Chance für Anneke.

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