Gespräch mit Anneke Kim Sarnau (Katrin König) und Lina Beckmann (Melly Böwe)
In „Diebe“ steht mit Mascha Kovicz eine drogensüchtige Mutter im Fokus der Ermittlungen. Wie gefiel Ihnen die Geschichte?
LINA BECKMANN: Ich finde die Ambivalenz dieser Mutterfigur total spannend. Dass Mascha das Leben eines Junkies führt, macht sie nicht per se zu einer schlechten Mutter, sondern sie versucht, beides irgendwie hinzukriegen. Sie geht einerseits durch die eigene Hölle mit ihrem Drogenkonsum und dieser Idee, an Geld zu kommen, und hat gleichzeitig den großen Wunsch, eine tolle Mutter zu sein. Sie möchte es ihrem Kind, das sie sehr liebt, schön machen. Auf ihre Weise ist sie für Holli auch eine tolle Mama, aber zugleich ist sie eine Gefahr für ihr Kind. Diese Mischung finde ich sehr außergewöhnlich, weil Menschen mit einer Sucht im Film sonst allzu oft die sind, die ihre Kinder schlagen und vernachlässigen.
ANNEKE KIM SARNAU: Dennoch weiß man ja, dass dieses kleine Mädchen auf jeden Fall traumatisiert sein wird. Das ist tragisch, und darum nimmt einen dieser Fall auch so mit. Mir gefällt, dass Mascha ihr Leben aktiv zu gestalten versucht. Sie ist Teil eines Systems und versucht innerhalb dieses Systems, alles gut zu machen für ihr Kind. Auch wenn ihr das nicht gelingt, ist ihr ihre Tochter keineswegs egal. Ich finde es gut, so was mal zu zeigen, weil ich glaube, dass es viele Mütter gibt, denen es aus den verschiedensten Gründen nicht gelingt, ihren Kindern die Aufmerksamkeit und Fürsorge zu schenken, die sie ihnen im tiefsten Innern geben wollen würden.
Katrin König und Melly Böwe schauen sehr unterschiedlich auf diese junge Mutter. Wie würden Sie deren Perspektiven auf sie beschreiben?
A.K.S.: Ich glaube, dass Katrin König schon sehr abgeklärt ist, was das Thema Junkies angeht. Sie denkt, grob gesagt, in Statistiken und weiß einfach, dass die Statistik stark gegen diese Mutter und das, was sie versucht, spricht. Sie sieht vor allem die Gefahr, in die Mascha sich und ihre Tochter bringt und weiß ja aus eigener Erfahrung, wie es ist, ohne die eigene Mutter aufwachsen zu müssen. Entsprechend nüchtern betrachtet sie die Situation und will einfach nur klar und sachlich an diesen Fall herangehen. Was aber keinesfalls bedeutet, dass ihr das Schicksal der beiden nicht auch nahegeht.
L.B.: Mir war bei dem Fall, wie auch bei den vorherigen, immer wichtig, dass die beiden nicht nur so einen Gegensatz bilden: Die eine ist nur kalt und streng und die andere ist nur weich und lieb. Vielmehr können die, glaube ich, beide die Situation sehr gut einschätzen, verhalten sich nur unterschiedlich dazu. Natürlich ist Katrin König auch gerade selbst so enttäuscht von all ihren Familienmitgliedern, dass sie eine innere Mauer aufgebaut hat. Und dadurch, dass Melly eine Tochter hat und der Umgang mit Kindern vielleicht gewohnter ist, reagiert sie empathischer und schlägt eine andere Vorgehensweise ein. Aber beide gehen auf ihre unterschiedliche Art professionell mit der Situation um. Sie haben eigentlich beide einen guten Ansatz, aber man spürt deutlich, dass die sich noch eingrooven müssen und sich nicht in jeder Situation gegenseitig vertrauen.
Mascha ist Zeugin im Mordfall Bödecke. Irgendwann wird klar, dass sie Wichtiges verschweigt. Um ihr die Wahrheit zu entlocken, gibt König „das Arschloch“, wie sie es nennt. Böwe dagegen begibt sich in eine gefährliche emotionale Nähe zu der Frau. Ist das ein Rollenspiel?
A.K.S.: Das passiert bestimmt oftmals gar nicht bewusst, wenn zwei Leute eng zusammenarbeiten und eine Aufgabe zu erfüllen haben. Das ist dieses „Good Cop“ und „Bad Cop“-Ding, das ja auch in der Erziehung oft greift. Wenn man merkt, der eine wird zu nachlässig und ist inkonsequent, muss der andere umso konsequenter oder strenger sein. Man versucht, eine Position zu halten, weil man denkt, okay, wir müssen hier die Struktur wahren.
L.B.: Melly Böwe kann ganz bestimmt auch ein Arschloch sein. Weil sie aber ebenfalls alleinerziehend war, hat sie den starken Wunsch, dass Mascha darum kämpft, ihre Sucht zu überwinden. Sie wünscht sich so sehr, dass Mutter und Tochter zusammenbleiben können, dass sie da ein bisschen den Kopf verliert. Natürlich weiß sie auch, wie hoch die Rückfallquote bei Junkies ist, aber das verdrängt sie in dem Moment. Und Frau König fungiert dann wie eine Art Korrektiv. Sie versucht gegenzusteuern und gibt ihrer Kollegin zu verstehen: Jetzt komm mal zurück, das ist gerade ein bisschen kitschig, was du machst. Es ist einfacher, wenn wir uns an die Fakten halten.
A.K.S.: Im Grunde berührt das ja einen ganz grundsätzlichen Punkt. Nämlich die Frage, wie viel Empathie man in diesem Job zulassen muss, um überhaupt an die Menschen ranzukommen, und wie man sich schützt, damit man nicht zu sehr von ihrem Leid berührt wird. Ich glaube, das ist eine schwierige Aufgabe, weil man in diesem Job immer mit krassen Schicksalen konfrontiert wird. Da professionell zu bleiben, ist sicher hart, aber die beiden versuchen, das miteinander hinzukriegen. Wenn Katrin König Melly Böwe provoziert, doch auch mal ein Arschloch zu sein, tut sie das irgendwie auch, um sie zu schützen und auf eine professionelle Ebene zurückzuziehen.
Die Profilerin steht durch die Treffen mit ihrem lange verschollenen Vater vor einer besonderen emotionalen Herausforderung. Wir sehen eine sehr zerrissene Katrin König. Wie erlebt sie die Treffen?
A.K.S.: Das ist eine extrem fordernde Situation für sie. Denn einerseits ist sie natürlich skeptisch, was der Mann plötzlich von ihr will, aber natürlich trägt sie auch eine große Sehnsucht und Hoffnung als Tochter in sich. Im Grunde hat sie vierzig Jahre lang die Möglichkeit in sich getragen, dass irgendwann ihr Papa kommt und ihr erklärt, warum damals bei der Flucht alles so schiefgelaufen ist. Und natürlich hat sie gehofft, dass er eine Art Held ist. Vielleicht hat sie sich vorgestellt, dass sie ihren Kampfgeist von ihm hat, irgend so was. Sie erwartet nichts, erhofft sich aber alles. Gleichzeitig kostet es sie wahnsinnig viel Überwindung, in diese Situation reinzugehen, denn wir wissen ja, dass sie nicht die Fähigste ist, was private Dinge angeht. Jede kleine Bewegung auf diesen Mann zu ist für sie schon ein Akt, und gerade weil sie sich so unsicher fühlt auf diesem Terrain, kontrolliert sie sich stark. Aber das gelingt nicht so richtig, denn sie muss leider feststellen, dass er nicht das ist, was sie sich vorgestellt hat. Anstatt ein Held und ein Papa zu sein, ist er das glatte Gegenteil. Eigentlich muss sie in dem Ganzen die Erwachsene sein. Er erfüllt nicht nur keine Hoffnungen, sondern erhofft sich, wie sich herausstellt, im Gegenteil sogar selbst etwas von ihr. Ich glaube schon, dass das noch in ihr nachhallt, da bleibt sicherlich eine Narbe innerlich, die sich nicht so schnell kaschieren lässt.
Wie nimmt Melly Böwe diese ganze Situation wahr?
L.B.: Sie hat ja von Anfang mitbekommen, dass dieser Mann eigentlich alles falschgemacht hat, was man falschmachen kann. Schon im letzten Film, als er sich mit Spielzeugfiguren an sie angepirscht und sie mit dem Fahrrad verfolgt hat. Melly sieht sofort, dass das eine schwierige Situation für Katrin König ist. Aber sie checkt auch, dass es besser ist, die Klappe zu halten und sich da nicht einzumischen oder irgendwelche Tipps zu geben. Denn sie spürt natürlich die große Anspannung der Kollegin.
Rücken die beiden durch diesen neuen Fall ein wenig mehr zusammen?
L.B.: Ein wenig vielleicht – die beiden respektieren sich, aber so richtig kommen sie nicht zueinander. Dazu steht immer noch zu viel zwischen ihnen, was sie eigentlich klären müssten. Da steht dieser Riesenelefant im Raum, der Bukow heißt. Und solange sie darüber nicht reden oder nicht den Mut haben zu sagen, ich lasse mal die Maske fallen, sind sie sehr, sehr vorsichtig miteinander. Vielleicht müssten sie das mal machen, dass eine sagt, ich bin sehr verletzt oder ich bin sehr allein oder ich weiß auch nicht, wie es geht. Aber die zeigen sich noch nicht so richtig. Sie zeigen sich ihre Unsicherheiten und Schwächen nicht.
A.K.S.: Das stimmt. Ich glaube aber auch, dass die beiden sich ein wenig nähergekommen sind. Denn im Grunde haben die zwei eine sehr ähnliche Haltung zu vielem. Sie checken das nur nicht immer sofort … aber das kommt (lacht).
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