Eine Betrachtung der 60er Jahre von Peter Prange
Die 60er Jahre waren für mich Himmel und Hölle zugleich. Hölle, weil ich noch als Fünfzehnjähriger so klein war, dass meine Tanzstundenpartnerin mich um mehr als einen Kopf überragte. Außerdem sah ich mit meinen langen Haaren und meinem zarten Gesicht aus wie ein Mädchen und wurde oft für ein solches gehalten – zur grenzenlosen Belustigung meiner Freunde. Himmel, weil trotz meiner tiefen Verunsicherung in jener Zeit alles Anfang und Hoffnung und unbestimmtes Sehnen war. Das Leben schien eine einzige Schatztruhe voller unbekannter, aufregender Erfahrungen zu sein. Jeden Tag gab es etwas Neues zu entdecken und zu erleben, eine Premiere folgte auf die andere. Von der ersten Zigarette bis zum ersten Kuss, der mir trotz meiner körperlichen Unzulänglichkeiten doch noch in diesem Jahrzehnt zuteil werden sollte. Kurz: Es war die Zeit meiner Pubertät.
In „Unsere wunderbaren Jahre“ habe ich versucht, die Ge - schichte der Bundesrepublik Deutschland vom ersten bis zum letzten Tag der D-Mark zu erzählen, aus der Perspektive meiner Heimatstadt Altena – und aus der Perspektive des Geldes. Wie zwei deutsche Währungen zu zwei deutschen Staaten führten ... Wie Handel und Geldverkehr die Phase der deutschdeutschen Zweistaatlichkeit prägten ... Wie die Währungsunion in die Wiedervereinigung mündete, und diese mit dem Euro schließlich in die europäische Perspektive ... Drei Währungen, drei Akte, drei Metamorphosen deutscher Identität.
Mit der zweiten Staffel schlagen wir nun eines der spannendsten Kapitel dieser Geschichte auf. Denn die 60er Jahre waren nicht nur die Zeit meiner persönlichen Pubertät, sondern auch der Pubertät der ganzen Nation. Nach dem Ende des Wirtschaftswunders und der Zeit der Restauration erfindet sich Deutschland noch einmal von Grund auf neu. Junge Menschen ziehen rebellierend auf die Straße, um gegen die Generation ihrer Eltern Sturm zu laufen. Gleichzeitig scheint die Zweiteilung Deutschlands für alle Zeit zementiert. Nur der Austausch von Geld und Waren ermöglicht noch ein Minimum an Miteinander. „Wandel durch Handel“ soll hier für Annäherung sorgen. Ein Modell, das jahrzehntelang die Politik zwischen Ost und West bestimmte – und das durch die Zeitenwende dieses Jahres nun auf seine finale Probe gestellt wird.
Mein Dank gilt der UFA Fiction, dem WDR und der ARD, dass sie diese ebenso dramatische wie widersprüchliche Zeit, in der wir wurden, was wir heute sind, nach Motiven meines Romans ins Bild gesetzt haben. Vor allem aber danke ich den Zuschauerinnen und Zuschauern, durch deren Begeisterung für die erste Staffel die Fortsetzung überhaupt erst möglich wurde. Peter Prange, geboren 1955 in Altena, promovierte mit einer Arbeit zur Philosophie und Sittengeschichte der Aufklärung. Nach seinem Durchbruch als Romanautor mit „Das BernsteinAmulett“ (für die ARD als Zweiteiler verfilmt) folgten die historischen Romane seiner Weltenbauer-Dekalogie (Die Principessa, Die Philosophin, Die Rebellin, Die Gottessucherin, Himmelsdiebe, Der Kinderpapst, Ich, Maximilian, Die Rose der Welt), in denen er tausend Jahre europäische Geschichte in epochemachenden Ereignissen erzählt. 2007 erschien sein Bestseller „Der letzte Harem“ über die Geburt der modernen Türkei, 2016 sein Deutschland-Roman „Unsere wunderbaren Jahre“ und 2018/19 „Eine Familie in Deutschland“, die deutsche Jahrhundert-Tragödie von der Machtergreifung 1933 bis zur Kapitulation 1945 in zwei Bänden. Das Sachbuch „Werte“, ein Reiseführer durch die abendländische Kulturgeschichte wurde für den „Europe Book Prize“ nominiert. 2020 erschien „Winter der Hoffnung“, 2021/22 sein „Traumpalast“. Pranges Werke sind in 24 Sprachen übersetzt und haben inzwischen eine internationale Gesamtauflage von über drei Mio. Exemplaren erreicht. „Unsere wunderbaren Jahre“, die Geschichte der Bundesrepublik vom ersten bis zum letzten Tag der D-Mark, liegt Peter Prange besonders am Herzen, da er dort teilweise die eigene Familiengeschichte verarbeitet. Für die ARD verfilmt, erreichte der dreiteilige Event-Mehrteiler bei Ausstrahlung im Frühjahr 2020 fast 20 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer.
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