Fragen an Jürgen Tarrach
Eduardo Silva war ein erfolgreicher Staatsanwalt, als sein Leben vollkommen überraschend eine andere Wendung nahm. Wie sehen Sie ihn heute?
Er ist ein Mann, der nicht mehr viel zu verlieren hat. Das macht ihn für seine Gegner gefährlich. Er hat ein inneres Exil gewählt, weil er sich an einer Katastrophe schuldig fühlt. Er braucht besondere Herausforderungen, damit er sich wieder einmal lebendig fühlt und geht unbeirrbar seinen Weg, der besonders schwierig sein muss.
Silva stellt als Strafverteidiger seine eigenen Regeln im Kampf um die Gerechtigkeit auf und verteidigt seine Klienten mit eigenwilligen Methoden. Können Sie seine ganz spezielle Interpretation von Recht und Gesetz nachvollziehen?
Es ist das Wunderbare an einer fiktionalen Geschichte, dass man sich zwar an der Realität orientiert, aber auch Dinge tun kann, die man im wirklichen Leben nur sehr selten oder gar nicht durchlebt. Silva nimmt für sich in Anspruch, immer auf der richtigen Seite zu stehen, nämlich auf seiner, und dabei darf man auch schon mal gegen Regeln verstoßen. Robin Hood eben. Wer möchte das nicht auch einmal?
Wie viel Saudade, portugiesische Melancholie, steckt in Eduardo Silva? Und wie viel Silva steckt in Ihnen?
In ihm steckt natürlich sehr viel Melancholie, wobei dieser Begriff bei uns in Deutschland immer sehr schnell mit einer depressiven Verstimmung gleichgesetzt wird. Das ist aber falsch: Die Melancholie kann uns in ihrer Bittersüße zwar zeigen, dass jegliches Glück vergänglich ist, aber in der Erinnerung ja doch bestehen bleibt. Ein melancholisches Gedicht oder Lied kann diese Erinnerung wieder lebendig werden lassen – und wie schön ist es dann, auch ein paar heimliche Tränen über das gewesene Glück zu vergießen! Was mich betrifft, führt mich mein Alter von 57 Jahren notgedrungen zu Begegnungen mit der Melancholie (lacht).
Was hat Sie besonders an der Rolle gereizt?
Das gesamte Paket war wie ein großes Geschenk: Ich liebe den Süden und fühle mich mein ganzes Leben schon dem mediterranen Raum zugeneigt. Der Charakter Silva mit seinen Ecken und Kanten, der ähnlich wie ein altes Wurzelholz aus dem Meer ans Land gespült wurde, ist eine wunderbare Bühne, sich schauspielerisch auszuleben. Zudem ist er im Krimigenre kein Polizeiermittler, sondern Rechtsanwalt, was ganz andere Spielmöglichkeiten ergibt.
Eigentlich ist Eduardo Silva ein Einzelkämpfer. Nun hat er die junge Marcia an seiner Seite. Wie ergänzen sich die beiden?
Sie sind sich in ihrer Eigenwilligkeit, ihrem Ehrgeiz und auch ihrer Unbedingtheit sehr ähnlich. Aber Marcia lässt sich von diesem Grantler nicht ins Bockshorn jagen, hat ihren eigenen Kopf und gewinnt so seinen Respekt und sogar väterliche Zuneigung.
Was war das Besondere an der Zusammenarbeit mit Vidina Popov?
Vidina und ich sind während der Dreharbeiten in kürzester Zeit zu echten Kumpels geworden. Vidina ist eine ganz außergewöhnliche junge Frau. Sie ist sehr intelligent, gepaart mit einem wunderbaren Humor und einer sehr schönen offenen Art, die ihr in ganz Lissabon etliche Sympathien eingebracht hat, denn Vidina hat sich diese Stadt einverleibt und zahlreiche Freundschaften geknüpft. Bewundernswert.
Sie haben lange in Lissabon gedreht. Was mochten Sie am liebsten an dieser Stadt?
Oh, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll! Es ist einfach eine der schönsten, lebenswertesten Städte, die ich kenne. Und vor allem sind es die sympathischen Menschen, die hilfsbereit, aber auch zurückhaltend sind, zudem freundlich mit einer lässigen Lebensart, die diese Stadt zu einem Ort werden lässt, in dem man wunderbar flanieren, an den zahllosen Kiosken und Aussichtspunkten einen Galão (Milchkaffee, die Red.) nehmen und über diese Stadt schauen kann und einfach glücklich ist.