Interview mit Regisseur Sven Bohse

Die Polizei Weesenburg macht einen grausigen Fund im Iseforst
Die Polizei Weesenburg macht einen grausigen Fund im Iseforst | Bild: NDR

»Die Realität ist oft abefahrener als alles, was man sich ausdenken kann.«

Was ist anders, wenn man einen Film inszeniert, der auf realen Geschehnissen basiert?

Die realen Ereignisse sind die Legitimation, sich überhaupt zu trauen, das Unglaubliche zu erzählen. Die Realität ist oft abgefahrener als alles, was man sich ausdenken kann. In der fiktionalen Übersetzung ging es uns darum, die realen Ereignisse zu verdichten und zu dramatisieren und nicht nachzuerzählen. Diese perfekte Mischung von emotional aufgeladenem Drama und Thriller fand ich super interessant, denn der mutmaßliche Mörder ist irgendwann tot, aber der Fall noch nicht gelöst, was die Familie in eine verzweifelte Lage bringt. Die posthume Enträtselung eines Täters, bei der sich Privates und Kriminalistisches verstrickt, entwickelt einen unglaublichen Sog.

Die Figuren scheinen auf fatale Weise in ihren Biografien festzustecken. Ist das eine Facette, die Sie besonders interessiert hat?

Alle Figuren sind zunächst gefangen in ihren zeittypischen Rollen und in bestimmten Systemen. Dieser Aspekt hat mich sehr interessiert. Wer kann sich aus seiner Rolle befreien, wer emanzipiert sich, wer hält sich aus welchen Gründen an Regeln und Vorschriften? Wer bleibt in der Rolle des Opfers? Das wollten wir vor allem erzählen. Wenn ein Verbrechen nicht aufgeklärt wird, bleiben die Hinterbliebenen mit ihrer Ungewissheit allein.

Die Polizeiarbeit erscheint in einem fragwürdigen Licht. Wie kommt es zu den folgenschweren Ermittlungsfehlern?

Die ermittelnden Polizisten sind nicht alle unfähig, aber sie legen sich sehr schnell auf bestimmte Hypothesen über den Mörder fest, um überhaupt etwas in der Hand zu haben. Außer der Polizistin Anne Bach wagt keiner, den Vorgesetzten Paroli zu bieten. Wir erzählen auch eine Parabel, was in hierarchisch strukturierten Apparaten schieflaufen kann. Wenn einmal ein Fehler passiert, gibt es kein Zurück mehr, und jeder versucht, den Fehler zu vertuschen. Jeder von uns muss sich deshalb die Frage stellen, ob man ein kleines, gut funktionierendes Rädchen, aber letztlich ein Mitläufer in einem System ist. Oder ob man ein selbstverantwortlicher, freidenkender und kritischer Mensch sein möchte, der die richtigen Fragen stellt, wenn etwas falschläuft.

Die dargestellten Männerfiguren hüllen sich oft in Schweigen. Ist das ein Ausdruck ihrer Ohnmacht?

"Das Geheimnis des Totenwaldes" ist auch ein Sittengemälde der Nachkriegsgeneration. Trauer und Probleme werden verdrängt. Thomas Bethge und sein Schwager sind eigentlich Alphatiere, beruflich erfolgreiche und dominante Führungspersonen. Aber im Privaten, wenn es an die eigenen Befindlichkeiten und Verletzungen geht, haben sie Schwierigkeiten, Schwäche zu zeigen. Das kommt mir aus der Generation meiner Eltern bekannt vor: Über traumatische Erlebnisse wird nicht gesprochen!

Welche Bildsprache haben Sie zusammen mit Ihrem Team entwickelt?

Wir wollten ein episches Erzählgefühl herstellen. Der Kameramann Michael Schreitel und ich wollten nicht durch eine dokumentarische Kameraführung oder schnelle Schnitte eine erzwungene Dynamik erzeugen, sondern über die Bildsprache in bestimmten Momenten auch diesen Stillstand erzählen, dieses Gefühl, dem Lauf der Dinge machtlos gegenüberzustehen. Generell wollten wir die Welt Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre mit einem modernen Retrolook einfangen. Diese oft kleinstädtische Atmosphäre war nicht so geleckt wie heute, aber sie hatte durchaus ihren Charme.

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