So., 24.09.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Wie die Klima-Migration unsere Welt verändert
Gaia Vinces Buch "Das nomadische Jahrhundert"
Gaia Vince, preisgekrönte britische Wissenschaftsjournalistin, beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit den Themen Migration und Klimawandel. Auf zahlreichen Reisen hat sie gesehen, wie Umweltveränderungen und menschliche Wanderungsbewegungen zusammenhängen. Waldbrände und Wirbelstürme, Dürre und Flutkatastrophen: Wenn die Klimakrise ganze Regionen unbewohnbar macht, bleibt den Einheimischen nichts anderes übrig, als in andere Gebiete zu fliehen. Am 28. September erscheint ihr neues Buch "Das nomadische Jahrhundert" im Piper-Verlag. ttt hat Gaia Vince in London getroffen.
Die harten Fakten
"Es ist total wichtig, zu sehen, dass wir vieles verlieren werden, dass manches nie wieder kommt", sagt sie. "Aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben. Es gibt so viel zu tun. Einige Dinge können wiederhergestellt werden und der Rest muss neu erdacht und erschaffen werden. Wir müssen nach Lösungen suchen."
Doch bevor sie Handlungsoptionen skizziert, schildert sie in ihrem Buch die harten Fakten. In den letzten 30 Jahren hat sich die weltweite Migration fast verdoppelt. Schon heute sind zehnmal mehr Menschen infolge von Umweltkatastrophen auf der Flucht als wegen Konflikten und Kriegen. Und in den kommenden Jahrzehnten werden buchstäblich Milliarden von Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden. "Niemand redet über die Tatsache, dass sehr viele Menschen in großen Teilen des Planeten sich nicht ans Klima anpassen können. Sie werden dort einfach weggehen müssen."
Suche nach Lösungen
Noch tut der "Norden" so, als könne er die Flüchtenden aufhalten. Dabei ist schon jetzt abzusehen, wie sehr die Migration unseren Alltag, unser Zusammenleben und unsere Politik verändern wird. Für Gaia Vince steht fest: Wir müssen jetzt handeln. Und wir können es auch. "Diese Krise ist längst da, aber sie muss nicht schlimmer werden. Wir können sie managen. Dafür müssen wir darüber reden, die Optionen abwägen und planen."
Vieles werde davon abhängen, wie gut wir es schaffen, Stadtplanung, Mobilität, Infrastruktur, Wohnungsangebot und landwirtschaftliche Versorgung anzupassen. Entscheidend sei es, die Migration nicht als bedrohliche Ausnahmesituation zu betrachten. Ganz im Gegenteil: "Migration ist etwas völlig Natürliches", sagt Gaia Vince. Sie habe dazu geführt, dass der Mensch sich von seinen Ursprüngen in Afrika über den ganzen Globus verbreitet hat. "Menschen vernetzen sich weltweit, teilen Ressourcen und Gene. Wir tauschen Ideen aus. Alles, was wir aufgebaut haben, entstand durch das Netzwerken, durch Migration. Sie macht uns definitiv aus und sie wird uns retten. Wie schon so oft in der Vergangenheit."
Ihr Plädoyer: Statt Abschottung brauchen wir organisierte Umsiedlung. "Die Einwanderung findet statt, ob uns das gefällt oder nicht, und sie nimmt weiter zu. Zugleich leiden die nördlichen Länder an Bevölkerungsschwund. Wir haben nicht genug Babys, um die alternde Gesellschaft zu unterstützen. Da hilft nur Einwanderung." Gaia Vince beschönigt nichts. Zugleich aber bietet sie eine Reihe kreativer Lösungen an. "Wir brauchen couragierte, visionäre Führer in dieser Zeit globaler Krisen, die vortreten und für ein alternatives Narrativ stehen, das Sinn macht." Ihr Buch "Das Nomadische Jahrhundert" ist beängstigend und inspirierend zugleich – ein kluger Debattenaufruf zu den beiden drängendsten Themen unserer Zeit.
Buchtipp
Gaia Vince: Das nomadische Jahrhundert.
Wie die Klima-Migration unsere Welt verändern wird
Piper-Verlag 2023, Preis: 24 Euro (erscheint am 28. September 2023)
Autorin des TV-Beitrags: Claudia Kuhland
Die komplette Sendung steht am 24. September ab 20 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.
Stand: 24.09.2023 18:31 Uhr
Kommentare