Mo., 30.10.23 | 00:20 Uhr
Denis Scheck kommentiert die Top Ten Belletristik
Platz 10) Elke Heidenreich: "Frau Dr. Moormann & ich"
Meine enorme Freude darüber, dass dieses Buch mit Nachbarschaftsanekdoten nach nur 88 Seiten schon vorüber war, verbietet jeden Gedanken an einen Verriss.
Platz 9) Stephen King: "Holly"
Die Privatdetektivin Holly Gibney tauchte schon in fünf anderen Romanen Stephen Kings als Nebenfigur auf, nun gehört ihr die Hauptbühne in diesem in meinen Augen politischsten Roman Stephen Kings, in dem er den Rassismus und Homophobie der amerikanischen Rechten in einem unvergesslichen Serienkillerpärchen Gestalt annehmen lässt. Ein schöner Schauder.
Platz 8) Robert Seethaler: "Das Café ohne Namen"
Der eigentliche Held dieses einfachen, aber eindrücklichen Romans ist eine Kneipe in einem Wiener Arbeiterviertel der 60er Jahre. Sie wird in Seethalers Roman zum Seelen- und Sehnsuchtsort vieler sogenannter kleiner Leute und ihrer großen Geschichten.
Platz 7) Julia Dippel: Die Sonnenfeuer-Ballade
Saccharainsüße deutsche Fantasy, die dem Irrglauben aufsitzt, Phantasie ergäbe sich aus exotischen Namen und Funktionsbezeichnungen. Das im Verein mit erzählerischem Unvermögen führt zu abstrusen Dialogen wie: "Seit die Vakárs ihren neuen Syr der Syrs haben, kommt kaum eine meiner Lieferungen mehr durch die Tore. Verfluchter Cjander! Selbst im Grab schafft der Drecksack noch, mir das Leben schwer zu machen!" "Baron Cjander ist tot?!" "Mausetot", bestätigte Onna. In allen Städten Enebhas zerreißt man sich das Maul darüber". Blicke sind "tödlich", man "atmet erleichtert auf", man "macht sich vor Angst in die Hose" und lebt und denkt im Klischee. Trostlos.
Platz 6) Rebecca Yarros: "Fourth Wing – Flammengeküsst"
Noch blöder, noch phantasieloser, noch klischeegetränkter: amerikanische Bubblegum-Fantasy, die ebenso gut als High-School-Footballgeschichte erzählt werden könnte: Junge Drachenreiterin verguckt sich in den starken Drachenreiter-Obermotz und lebt ihre erotischen Träumereien aus. "Er treibt uns über die Matratze das Bett hinauf und ich werfe meine Arme zurück, um mich am Kopfteil festzuklammern, während ich jeden Stoß seiner Hüften willkommen heiße. Oh Himmel, jeder Stoß ist besser als der vorherige." Zum Fremdschämen einfältig.
Platz 5) Walter Moers: "Die Insel der 1000 Leuchttürme"
Diesem deutschen Großmeister der Fantasy nach Zamonien zu folgen und seinen Lindwurm Hildegunst von Mythmetz als Kurgast auf einer magischen Insel zu erleben, zählt zu den großen Lesefreuden unserer Gegenwart.
Platz 4) Ferdinand von Schirach: "Regen"
In der kurzen, auf Buchlänge aufgeblasenen neuen Erzählung von Schirachs geht es um existentielle Themen wie Schuld und Vergebung. Der Erzähler ist ein Schriftsteller, der seit 17 Jahren nicht mehr schreibt, weil er sich für den Tod seiner Frau verantwortlich macht. Albert Camus‘ "Der Fall" lässt grüßen, aber auch wenn Sätze wie "Das Praktische und das Funktionelle und das Natürliche führen direkt in die Hölle" zitierfähig sind, bleibt die Erzählung nicht in Erinnerung.
Platz 3) Ken Follett: "Die Waffen des Lichts"
Ken Follett inszeniert Gerhart Hauptmanns „"Die Weber" in seinem aus "Die Säulen der Erde" und den Folgeromanen bekanntem fiktiven Kingsbridge: sozialdemokratische Unterhaltungsliteratur. Wer’s mag.
Platz 2) Daniel Kehlmann: "Lichtspiel"
Das mit weitem Abstand brillanteste Meisterwerk auf dieser Liste: ein grandios erzähltes Ränkespiel um die Verantwortung der Kunst und die Verführbarkeit durch Macht: darüber gleich mehr im Gespräch mit dem Autor.
Platz 1) Cornelia Funke: "Die Farbe der Rache"
Gerade im Interview: Ein Wiedersehen mit der Tintenwelt und eine Wiederbegegnung mit den Motiven, die Cornelia Funkes Romane über Fenoglios Phantasiewelt zu einem modernen Klassiker gemacht haben: Wofür brauchen wir Geschichten? Welche Bedeutung haben Freundschaften? Was tröstet über den Tod?
Stand: 29.10.2023 18:05 Uhr
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