So., 25.02.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
Denis Scheck empfiehlt "Demon Copperhead" von Barbara Kingsolver
Dieser Roman entführt in die USA – und zwar nach Amerika, nach ganz, ganz unten. Dort, wo himmelschreiende Armut herrscht. Gewalt an der Tagesordnung ist. Und dieses Schreckenspaar, Armut und Gewalt, ein Kind namens Dummheit in die Welt setzen. Barbara Kingsolver erzählt in ihrem sprachgewaltigen Roman von einer Kindheit in der Hölle: der Hölle irgendwo in der Pampa von Virginia, da, wo bis heute das Landprekariat zu Hause ist, die sogenannten Hillbillies. Unser Ich-Erzähler beginnt mit seiner Geburt: Seine Mutter ist 18, sein Vater schon tot, als er zur Welt kommt. Seine Mutter räumt bei der Supermarktkette "Walmart" die Regale ein. Plötzlich taucht ein Stiefvater auf, ein Bierkutscher mit einer Harley, der unter Erziehung eher Faustrecht versteht. Demons Mutter wird keine 30. Sie ist ein frühes Opfer jener skrupellosen Verschreibung von Schmerzmitteln, die als sogenannte "Opioidkrise" allein zwischen 2021 und 2022 über einhunderttausend Amerikaner ihr Leben kostet.
Was diesen Roman herausragen lässt und zum großen Literaturvergnügen macht: Barbara Kingsolver erzählt ihre Geschichte ebenso klug wie wortmächtig auf der Folie eines berühmten Vorgängers, nämlich Charles Dickens "David Copperfield". Genau wie Dickens prangert sie Kinderarbeit und Ausbeutung an. Nur läuft einem ein Schauder über den Rücken, weil sie von den USA von heute spricht und nicht von London im 19. Jahrhundert. Diese Vergangenheit ist nicht vergangen. Nach dem Tod seiner Mutter erlebt Demon Copperhead einen Alptraum, der sich wenig von David Copperfields Kindheit unterscheidet: Er wird ausgebeutet von diversen Gasteltern, missbraucht, versklavt, ist kurz vor dem Verhungern. Er bringt es Jahre später dennoch zum Footballstar an seiner High School, erwirbt Bildung und denkt nach über sein Herkunftsmilieu der Hillbillies: "Der uralte Kummer dieser Gegend: Die Erfolgreichen gehen, die Versager bleiben."
Barbara Kingsolver ist ein erschütternder Roman über die Opioidkrise und ihre Opfer gelungen – ein Buch, das einen die USA mit neuen Augen sehen lässt.
Stand: 25.02.2024 15:00 Uhr
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