Mo., 09.10.23 | 00:25 Uhr
Das Erste
Salman Rushdie – Das Interview
Am 12. August 2022 geschah das, was immer im Bereich des Möglichen lag, und doch schockierend unerwartet war: Bei einem Messerangriff wurde Salman Rushdie schwer verletzt. Bis heute ist er auf dem rechten Auge blind und hat kein Gefühl mehr in der Schreibhand. Wie lebt und schreibt ein Mann, dem der Tod seit Jahrzehnten so nah ist?
Seit Salman Rushdie in den USA lebt, also seit mehr als 20 Jahren, schreibt er zweierlei Arten von Romanen. Die einen wie "Wut" oder "Goldenhouse" sind satirische Betrachtungen der gegenwärtigen amerikanischen Realität. Die anderen sind lyrische Erzählungen über sein Heimatland Indien. In seinem aktuellen Roman begibt er sich wieder in die indische Geschichte, übrigens an tatsächlichen historischen Fakten entlang, die er in ein Märchen verwandelt, ein goldenes Gespinst, durch das wir wiederum unsere Gegenwart sehen. Themen wie Migration, Geschlechtergerechtigkeit, Ressourcenausbeutung, religiöser Fanatismus – sie durchziehen dieses Meisterwerk. Schon auf den ersten Seiten von Rushdies "Victory City" geschieht Unfassliches. Wir sind in Südindien, im 14. Jahrhundert, ein kleines Königreich wird besiegt und die Frauen des Reiches, frisch verwitwet, machen sich auf den Weg an ein Ufer, schichten einen großen Scheiterhaufen auf und schreiten in die Flammen. Allein die junge Pampa Kampana überlebt – und zieht aus, mit göttlicher Kraft und schier unendlicher Lebenszeit gesegnet, eine Stadt zu gründen. Die Geburt der Stadt ist erst der Anfang einer großen leuchtenden Erzählung, die sich aus so vielen Strängen, Farben und Details zusammenwebt, dass dieser Roman wie ein Literaturkonzentrat wirkt. Die Utopie des friedlichen und nicht-hierarchischen Zusammenlebens muss scheitern, das ist schnell klar, aber der 250 Jahre dauernde Weg in den Untergang der Stadt wiederum ist weit und ausschweifend …
Am 22. Oktober 2023 wird Salman Rushdie schwer bewacht in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennehmen. Mit Denis Scheck spricht er über die seit 1989 über ihm schwebende Fatwa, den Umgang mit der Todesangst, über die Macht der Literatur und seinen aktuellen Roman "Victory City".
Stand: 08.10.2023 18:41 Uhr
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