Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 27.02.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Julie Kurz, Theo Koll, Dagmar Rosenfeld, Marco Buschmann
Die Gäste (v.l.n.r.): Julie Kurz, Theo Koll, Dagmar Rosenfeld, Marco Buschmann | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Warum ist eine EU-weite Definition des Straftatbestands Vergewaltigung gescheitert?

Warum ist eine EU-weite Definition des Straftatbestands Vergewaltigung gescheitert?

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) äußerte sich in der Sendung zum Vorhaben, den Straftatbestand der Vergewaltigung in allen EU-Mitgliedstaaten einheitlich zu regeln. Ein entsprechender Artikel in der europäischen Gewaltschutz-Richtlinie wurde zuletzt von mehreren Ländern blockiert, darunter auch Deutschland. Buschmann sagte in der Sendung, eine EU-weite Regelung sei mit deutschem Recht nicht vereinbar.

EU-Gewaltschutzrichtlinie: Wieso wurde Vergewaltigung nicht einheitlich definiert? | Video verfügbar bis 27.02.2025

Maischberger: "Es gibt eine EU-Initiative, die sagt, wir möchten eine Richtlinie in die Welt bekommen, wo sozusagen EU-weit Frauen vor Gewalt geschützt werden, und es hakt an einer Stelle, nämlich dann, wenn es darum geht, zu sagen, was ist denn eine Vergewaltigung. Das ist ein Punkt, wo die FDP gesagt hat, da können wir dem Vorschlag, der da liegt, nicht zustimmen. Der Vorschlag heißt kurz gefasst, ein einvernehmlicher Sex ist da, wo eine Frau sagt 'Ja heißt Ja', und die deutsche Haltung ist 'Nein heißt Nein'. Was ist Ihr Problem, dahin zu gehen und das zu ändern?"

Buschmann: "Das Problem ist, dass Ihr Sachvortrag schon nicht ganz richtig ist."

Maischberger: "Danke für jede Verbesserung. Ich bin total dabei."

Buschmann: "Nein, nein, diese Richtlinie hakt nicht, sondern wir haben sie erfolgreich durch die Gremien gebracht. Die Richtlinie 'Gewalt gegen Frauen' hat eine Mehrheit."

Maischberger: "Ohne diesen Artikel 5, in dem es genau um die Vergewaltigung geht."

Buschmann: "Ich will nur einmal sagen, es ist ein Riesenerfolg. Wir gehen europäisch harmonisiert gegen Genitalverstümmelung bei Frauen vor, gegen Zwangsheirat vor."

Maischberger: "Aber nicht gegen Vergewaltigung."

Buschmann: "Ja, aber, Frau Maischberger, ich finde, man darf auch einmal sagen, das ist ein historischer Durchbruch, und europaweit wird der gefeiert. Übrigens auch von der Kommission und auch überall außerhalb Deutschlands. Und jetzt komme ich zu der Frage, die Sie ansprechen. Alles, was die Europäische Union tut, was sie gesetzgeberisch tut, bedarf einer Ermächtigungsgrundlage. Die haben wir bei diesem schlimmen Verbrechen der Genitalverstümmelung, die haben wir auch bei diesen Zwangsehen, weil das grenzüberschreitende Phänomene sind. Aber die Vergewaltigung, die ein schlimmes, abscheuliches Verbrechen ist, für das wir in Deutschland auch harte Gesetze haben, um das zu bestrafen – härter als in den meisten anderen Staaten, daran ändert sich ja nichts – dafür gibt es im europäischen Primärrecht keine Ermächtigungsgrundlage. Und ich bin daran gebunden. Das Bundesverfassungsgericht hat einmal entschieden, es hat gesagt, die Strafrechtspflege ist die Verfassungsidentität Deutschlands, und deshalb muss der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung diese Ermächtigungsnormen möglichst eng auslegen. Das habe ich mir nicht ausgesucht, sondern ich bin daran gebunden."

Hintergrund: Warum ist eine EU-weite Definition des Straftatbestands Vergewaltigung gescheitert?

Am 6. Februar 2024 einigte sich das Europäische Parlament sowie der Rat der 27 EU-Mitgliedstaaten auf eine Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Zwangsheirat, weibliche Genitalverstümmelung, aber auch Gewalt im Internet, etwa durch Cyber-Stalking oder das Verschicken intimer Bilder ohne Einverständnis, stehen demnach künftig in der gesamten EU unter Strafe. EU-weite Standards zur Strafverfolgung von Vergewaltigungen wurden dabei aber nicht vereinbart.

Der ursprüngliche Entwurf der Richtlinie, über den seit März 2022 beraten wurde, sah unter Artikel 5 eine einheitliche Definition des Straftatbestands der Vergewaltigung vor. Als Vergewaltigung sollte demnach jegliche "Vornahme einer nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlung an einer Frau" gelten, wobei "das Schweigen der Frau, ihre fehlende verbale oder körperliche Gegenwehr oder ihr früheres sexuelles Verhalten" nicht als Zustimmung betrachtet werden dürfe. Vereinfacht ausgedrückt: Nur Ja heißt Ja.

In manchen EU-Staaten, wie z.B. Schweden oder Spanien, ist diese Regelung bereits geltendes Recht. In Deutschland gilt seit einer Änderung des Sexualstrafrechts im Jahr 2016 das Prinzip "Nein heißt Nein". Das bedeutet, dass jede sexuelle Handlung gegen den "erkennbaren Willen" einer Person unter Strafe fällt. Für die Strafbarkeit eines sexuellen Übergriffes ist es seitdem nicht mehr entscheidend, ob der Täter dem Opfer mit Gewalt gedroht hat, ob Gewalt angewendet wurde oder ob sich die betroffene Person gegen den Übergriff körperlich gewehrt hat. Der verbale Widerspruch, aber auch non-verbale Signale, wie z.B. Weinen, sind ausreichend, um einen Übergriff strafrechtlich als Vergewaltigung zu ahnden. In vielen EU-Staaten ist nach wie vor die Anwendung oder Androhung von Gewalt maßgeblich für die Strafverfolgung.

Eine EU-weit einheitliche Definition von Vergewaltigungen nach dem Prinzip "Ja heißt Ja", wie sie unter Artikel 5 der Richtlinie vorgesehen war, scheiterte an der mangelnden Zustimmung einiger Mitgliedstaaten, wie z.B. Frankreich oder Deutschland. Bundesjustizminister Marco Buschmann begründete sein Veto damit, dass ein EU-Standard in diesem Fall nicht mit deutschem Recht vereinbar sei, da Vergewaltigungen nicht als grenzüberschreitende Delikte zu betrachten seien. In unserer Sendung verwies Buschmann auf ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Tatsächlich haben die Karlsruher Richter durch ihr sogenanntes Lissabon-Urteil aus dem Jahr 2009 einer Vereinheitlichung des Strafrechts in Europa deutliche Grenzen gesetzt. EU-weite Standards im Strafrecht können demnach nur gelten, wenn sich aus der Art der Tatbegehung oder den Auswirkungen der Tat eine "grenzüberschreitende Dimension" ergibt, wodurch sich die Tat also lokal nicht auf einen einzigen Staat eingrenzen lässt.

Genitalverstümmelungen oder Zwangsverheiratungen, die im Gegensatz zur Vergewaltigung künftig EU-einheitlich verfolgt werden sollen, sind genau genommen auch nicht als grenzüberschreitende Delikte zu betrachten. Experten wie der Berliner Strafrechtsprofessor Martin Heger weisen jedoch darauf hin, dass die Täter zur Vornahme solcher Handlungen, z.B. an ihren Töchtern, typischerweise ins Ausland reisen, was eine Einstufung als grenzüberschreitende Kriminalität nahelege.

Kritik an Buschmanns Veto kommt u.a. vom Deutschen Juristinnenbund. Es sei "sehr, sehr wichtig", Gewaltschutz europaweit einheitlich zu gestalten, betonte die Vorsitzende der Strafrechtskommission im Deutschen Juristinnenbund Dilken Çelebi gegenüber der Tagesschau. Gewaltschutz solle nicht vom Wohnort abhängen. Anders als Deutschland hätten "zahlreiche EU-Mitgliedsstaaten noch dieses nötigungsbasierte Modell". Dabei mache man die Definition einer Tat als Vergewaltigung von Gewaltanwendungen oder Drohungen abhängig, was weder völkerrechtlichen Vorgaben noch dem mittlerweile vorherrschenden Verständnis sexueller Selbstbestimmung entspreche. Anders als Bundesjustizminister Buschmann hält der Juristinnenbund eine Ausweitung des EU-Rechts für möglich.

Der Juristinnenbund unterstützte auch einen offenen Brief, in dem mehr als 100 prominente Frauen den Justizminister aufforderten, die Blockade aufzugeben.

Einen ersten Schritt zur Vereinheitlichung des Sexualstrafrechts hatte der Europarat 2011 mit der sogenannten Istanbul-Konvention gemacht. Dabei handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt beinhaltet. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, offensiv vorzugehen gegen psychische Gewalt, Nachstellung, körperliche Gewalt, sexuelle Gewalt, Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, Zwangsabtreibung, Zwangssterilisierung und sexuelle Belästigung. All diese Tatbestände sind von den Unterzeichnerstaaten unter Strafe zu stellen.

Seit 2011 wurde die Istanbul-Konvention von insgesamt 45 Staaten unterzeichnet, doch nicht alle haben den Vertrag auch ratifiziert und in nationales Recht umgesetzt, weswegen Kritiker seit Jahren eine europäische Richtlinie fordern. Anders als eine EU-Richtlinie lässt sich die Istanbul-Konvention juristisch nur schwer durchsetzen.

Fazit: Das Europäische Parlament und der EU-Rat einigten sich kürzlich auf eine Richtlinie gegen Gewalt an Frauen. Anders als ursprünglich geplant wurde dabei aber keine EU-weite Definition des Straftatbestands Vergewaltigung vereinbart. Einige Staaten, darunter auch Deutschland, hatten sich dagegen ausgesprochen. Bundesjustizminister Marco Buschmann begründete sein Veto damit, dass eine europaweite Definition nicht mit deutschem Recht vereinbar sei. Ein Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2009 stützt seine Argumentation. Kritik kommt dagegen u.a. vom Deutschen Juristinnenbund, der eine einheitliche Regelung trotz des Karlsruher Urteils für möglich hält.

Stand: 28.02.2024

Autor: Tim Berressem