Faktencheck zu "maischberger"
Sendung vom 09.01.2024
Faktencheck
Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.
Und das schauen wir uns an:
- Ist die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe unter Kanzlerin Merkel gesunken?
Ist die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe unter Kanzlerin Merkel gesunken?
Grünen-Parteichef Omid Nouripour äußerte in der Sendung Verständnis für die Proteste der Bauern. Einen wesentlichen Grund für die Unzufriedenheit der Landwirte sieht er in der Agrarpolitik, die zwischen 2005 und 2021 unter Bundeskanzlerin Angela Merkel gemacht wurde. Während ihrer Amtszeit, in der das Landwirtschaftsministerium durchweg von der Union geführt wurde, sei die Zahl der Höfe um 140.000 zurückgegangen, so Nouripour.
Nouripour: "Wir haben 16 Jahre gehabt, bei denen ungefähr 400.000 Höfe am Anfang da waren, 2005. Und nach 16 Jahren Regierung mit fünf CDU- und CSU-, vor allem CSU-Landwirtschaftsministern – vier von den fünf waren von der CSU –, waren 140.000 Höfe weg. Dass die Bauern da sehr viel gelitten haben, dass da sich sehr viel aufgestaut hat und dass die deshalb protestieren, das ist mehr als verständlich."
Stimmt das? Ist die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe unter Kanzlerin Merkel gesunken?
Laut Statistischem Bundesamt betrug die Zahl der in Deutschland aktiven landwirtschaftlichen Betriebe im Jahr 2005 insgesamt 396.581. Im Jahr 2021 waren es nur noch rund 261.000. Omid Nouripours Aussage aus der Sendung, dass die Anzahl der Höfe zwischen 2005 und 2021 um etwa 140.000 zurückgegangen sei, ist also in der Größenordnung zutreffend. Es stimmt auch, dass alle Landwirtschaftsminister in diesem Zeitraum aus den Reihen der Union kamen. Es amtierten Horst Seehofer (CSU, 2005-2008), Ilse Aigner (CSU, 2008-2013), Hans-Peter Friedrich (CSU, 2013-2014), Christian Schmidt (CSU, 2014-2018) und Julia Klöckner (CDU, 2018-2021).
Die massenhafte Aufgabe landwirtschaftlicher Betriebe, die umgangssprachlich auch als Höfesterben bezeichnet wird, ist jedoch kein Phänomen, das ausschließlich auf die Agrarpolitik der Regierung Merkel zurückzuführen ist. Die Entwicklung begann schon deutlich früher. Zum Vergleich: Im Jahr 1960 zählte allein das damalige Bundesgebiet rund 1,5 Millionen landwirtschaftliche Betriebe. Bis 1980 halbierte sich diese Zahl fast. In den folgenden 20 Jahren sank sie noch einmal um fast die Hälfte, auf rund 450.000 im Jahr 2000. Die landwirtschaftlichen Betriebe auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sind hier bereits inbegriffen.
Wie Statistiken zeigen, sind es vor allem kleinere Höfe, die den Betrieb im Laufe der letzten Jahrzehnte aufgegeben haben. So ist nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die durchschnittliche Fläche pro Betrieb von 14,6 Hektar im Jahr 1980 auf rund 63 Hektar im Jahr 2020 gestiegen. Betrachtet man die Entwicklung im Zeitraum zwischen 2010 und 2020, so verzeichneten Höfe mit einer Fläche von unter 5 Hektar den größten Rückgang (21 Prozent). Erst ab einer Betriebsgröße von 100 Hektar oder mehr konnten Zuwächse beobachtet werden.
Als wesentliche Gründe für diesen Wandel gelten steigende Produktionskosten in Kombination mit niedrigen Erzeugerpreisen. Beides zusammen führt zu einem wachsenden wirtschaftlichen Druck auf die Betriebe. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sie wachsen. Denn je größer die Fläche, die beackert wird, desto besser sind z.B. die eingesetzten Maschinen ausgelastet. Auch Betriebsmittel wie Saatgut, Dünger oder Pflanzenschutzmittel sind im Einkauf günstiger, wenn größere Mengen bezogen werden. Doch für den Kauf neuer Flächen oder für den Bau größerer Ställe wird viel Kapital benötigt, das kleineren Betrieben oft fehlt. Diese Betriebe stehen dann oft vor der Entscheidung, ob sie hohe Kredite aufnehmen oder den Betrieb einstellen. Gibt ein Landwirt den Betrieb auf, werden seine Flächen in der Regel von einem größeren Betrieb übernommen. Auf diese Weise können die großen Betriebe weiter wachsen.
Aber auch politische Entscheidungen beeinflussen den Strukturwandel in der Landwirtschaft. Im September 2019 brachte die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel ein Agrarpaket auf den Weg, das neben einem freiwilligen Tierwohllabel erhebliche Einschränkungen für die Nutzung von Unkraut- und Schädlingsgiften umfasste. Dies führte ebenso wie eine neue Düngeverordnung zu massiven Protesten der Landwirte, die sich durch die neuen Auflagen wirtschaftlich zusätzlich belastet sahen.
Die unklare Zukunftsperspektive in der Landwirtschaft trägt auch dazu bei, dass sich für Landwirte, die altersbedingt aus dem Beruf scheiden, die Suche nach einem Nachfolger immer schwieriger gestaltet. Laut Situationsbericht 2021/22 des Deutschen Bauernverbandes geben 63 Prozent aller Betriebsleiter über 55 Jahre an, dass ihre Nachfolge noch nicht geklärt sei.
Im Jahr 2022 gab es in Deutschland noch insgesamt rund 259.000 Betriebe. Eine von der DZ Bank in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2020 prognostiziert, dass die Zahl bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen bis zum Jahr 2040 noch einmal deutlich auf 100.000 sinken könnte.
Fazit: Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe während Angela Merkels Regierungszeit um etwa 135.000 gesunken. Omid Nouripours Aussage aus der Sendung, es seien etwa 140.000 gewesen, ist also in der Größenordnung zutreffend. Das sogenannte Höfesterben ist jedoch kein Phänomen, das ausschließlich auf die Agrarpolitik der Regierung Merkel zurückzuführen ist. Die Entwicklung begann schon deutlich früher. Vor allem die Zahl kleinerer Betriebe nimmt seit Jahrzehnten stark ab. Sie können die nötigen Investitionen zur Wahrung der Konkurrenzfähigkeit oft nicht tätigen. Beeinflusst wird der Strukturwandel auch durch agrarpolitische Entscheidungen. So sorgte ein Agrarpaket der Regierung Merkel im Jahr 2019 für Proteste seitens der Landwirte, die sich durch neue Auflagen zusätzlich belastet sahen. Laut Prognosen könnte die Zahl der Höfe bis 2040 von derzeit noch 259.000 weiter auf 100.000 sinken.
Stand: 10.01.2024
Autor: Tim Berressem